Haftverschonung bei Verdacht des Totschlags
Der Mandantin wird ein Neonatizid vorgeworfen, Kindstötung unmittelbar nach der Geburt. In Deutschland fällt das unter Totschlag oder Mord. Österreich ist diesbezüglich fortschrittlicher.
Die Mandantin mit russischer und deutscher Staatsbürgerschaft lebt mit ihrer Familie seit Jahrzehnten in Deutschland, steht kurz vor dem Studienabschluss, ist hier sozial eingebunden. Die Eltern sind das, was man in Deutschland schätzt: fleißig, arbeitsam und diszipliniert. So verdienen sie den täglichen Unterhalt.
Nach der Rechtsprechung sind das also eigentlich beste Voraussetzungen, um die Annahme der Fluchtgefahr verdrängen oder mindern zu können und um zumindestens die Haftverschonung zu erreichen.
Die diesbezüglichen Verteidigergespräche mit der Staatsanwaltschaft liefen gegen die Wand. Der Verteidiger musste sich von der zuständigen Staatsanwältin kurz angebunden sagen lassen, der Erlass des Haftbefehls sei doch wohl “keine Spaßnummer”.
Staatsanwältin: wer nicht verhütet, bleibt in Untersuchuchungshaft!
Noch “spaßiger” wurde es im Haftprüfungstermin vor dem Landgericht Berlin, der auf Antrag der Strafverteidigung stattfand. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft blieb bei der Auffassung, dass an den Haftverhältnissen nichts zu verändern sei. “Argumentativ” untersetzte sie das damit, dass die Mandantin ja wohl hätte verhüten können, wenn sie kein Kind hätte haben wollen.
Das “Verhütungsargument” fand klare Ablehnung bei den Richtern, deutlich in Worten zum Ausdruck gebracht.
Keine zwingende Vermutung der Fluchtgefahr wegen russischer Staatsbürgerschaft
Auch sei – nach Auffassung der Staatsanwaltschaft – bei einer Flucht nach Russland die Strafverfolgung in Deutschland mangels Auslieferung durch Russland nicht gewährleistet. Das “Auslieferungsargument” überzeugte die Richter ebenfalls nicht: Russland ist Anfang der neunziger Jahre dem Europäischen Auslieferungsabkommen beigetreten und kommt auch Auslieferungsersuchen Deutschlands nach.
Ausservollzugsetzung des Haftbefehls durch das Landgericht Berlin
Die Haftverschonung bei Verdacht des Totschlags konnte erreicht werden. Die Mandantin ist wieder auf freiem Fuß. Das Landgericht Berlin folgte der geltenden Rechtsprechung zur Fluchtgefahr und setzte den Haftbefehl unter Erteilung von Auflagen mit Beschluss vom 15. März 2013 außer Vollzug.
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