Übermüdung bei Beschuldigtenvernehmung nach 38 Stunden ohne Schlaf

Der BGH hat Urteil aufgehoben. Es war ein langer Weg für meine Mandantin:

Die Urteilsaufhebung durch den 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (5 StR 296/14) erfolgte mit Beschluss vom 21. Oktober 2014 und betraf das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. November 2013. Die 29. große Strafkammer hatte unter dem Vorsitzenden Miczaijka meine Mandantin wegen Totschlags ihres Neugeborenen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Ihr wurde vorgeworfen, das Kind unmittelbar nach der Geburt erstickt zu haben (Neonatizid).

Rechtsstaatswidrige Vernehmungsmethode führte zu “Geständnis”

Die Verurteilung beruhte ausschließlich auf einem “Geständnis”, das die Kriminalbeamten der Mandantin bei einer nächtlichen Beschuldigtenvernehmung am Krankenbett unter skurrilen Umständen abtrotzten. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie über 38 Stunden nicht geschlafen und stand unter dem Einfluss schlaffördernder Medikamente. Man kann es auch als „Geständniserpressung“ bezeichnen.

Verwertungswiderspruch stieß bei Landgericht Berlin auf taube Ohren

Der von mir als Verteidiger am ersten Hauptverhandlungstag  auf § 136a StPO gestütze Verwertungswiderspruch der Beschuldigtenvernehmung bzw. der Zeugenaussagen der Vernehmungsbeamten führte zu unsachlichen Reaktionen und Bemerkungen des Vorsitzenden. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft war völlig überfordert. Ich berichtete darüber bereits hier.

Willkürliche Verneinung des Beweisverwertungsverbots durch das Landgericht

Die Begründung des Landgerichts Berlin zur Verneinung des Verwertungsverbots erschien mir damals bereits als willkürlich und unter Zugrundelegung der konkreten Umstände als schlicht abwegig. So wurde argumentiert,  die Mandantin sei  trotz der langen Schlaflosigkeit vernehmungsfähig gewesen. Nach Aussagen der Vernehmungsbeamten habe sich die Mandantin zu Beginn der Vernehmung in einem “erstaunlich guten Zustand” befunden. Auch habe eine Gynäkologin im Vorfeld der Vernehmung im Krankenhaus den Polizeibeamten mitgeteilt, die Angeklagte sei “vernehmungsfähig”. Im übrigen habe die Angeklagte in der Vernehmung detaillierte Angaben getätigt, was auf ihre “Vernehmungsfähigkeit” schließen lasse.

Revision auf Verletzung des § 136a StPO gestützt

Die umfangreiche Revisionsbegründung stützte sich nicht nur, aber vornehmlich auf die Verletzung des § 136a StPO.

BGH hat Urteil aufgehoben und findet klare Worte

Der BGH hat Urteil aufgehoben. Mit dem Beschluss vom 26. Oktober 2014 folgte der 5. Strafsenat nicht nur meiner Rechtsauffassung. Vielmehr fand er klare Worte, warum und weswegen ”es auf der Hand lag, dass die Angeklagte einer immer wieder und immer energischer geführten konfrontativen Befragung (durch die Polizei) wegen ihres Erschöpfungszustandes nicht mehr in freier Willensbetätigung würde standhalten können”. Warum das Landgericht nicht sehen wollte, was klar auf der Hand lag? Vermutlich war es ein ausgeprägter Verurteilungswille.

Neuverhandlung bei Landgericht Berlin

Das Verfahren wurde dann neu verhandelt. Ich kam für meine Mandantin zu einem Erfolg. Denn sie wurde nun nur noch wegen fahrlässiger Tötung zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Das Urteil halte ich bis heute nicht für gerechtfertigt. Aber die zweite Revision blieb erfolglos.

Weitere Informationen

Einen einleitenden Artikel zum Thema Berufung und Revision finden Sie hier. Nähere Informationen finden Sie auf den folgenden Unterseiten auch zu den Themen der Berufung, der Revision und zur Wiederaufnahme des Strafverfahrens. Einige meiner erfolgreichen Fälle können Sie hier einsehen.