Verwertungsverbot wegen verbotener Vernehmungsmethode?
Es wird heftig am Landgericht Berlin um ein Verwertungsverbot wegen einer verbotenen Vernehmungsmethode gestritten. Wie berichtet, wird derzeit vor der 29. Großen Strafkammer ein Verfahren wegen Totschlag statt. Der Angeklagten wird die Tötung ihres Kindes unmittelbar nach der Geburt vorgeworfen. Nach der Geburt wurde die Mandantin am Krankenbett des Krankenhauses vernommen. Sie belastete sich. In der Hauptverhandlung streitet sie die Tat ab.
Verbotene Vernehmungsmethode wegen Übermüdung
Zu Beginn der Vernehmung war die Mandantin fast 38 Stunden ohne Schlaf. Das führte am ersten Hauptverhandlungstag zu einem Verwertungswiderspruch der Verteidigung wegen Übermüdung gem. § 136a StPO. Der Vorsitzende erklärte unmittelbar nach Verlesung des 17-seitigen Antrags, er sei gerade dabei, ihn zurückzuweisen. Er sehe keine Übermüdung. Im übrigen könne der Antrag derzeit noch nicht gestellt werden, er sei deshalb nicht zulässig. Das Gericht besann sich und verkündete mit Beschluss am nächsten Verhandlungstag, dass verschiedene Zeugen zur Prüfung des im Verwertungswiderspruch enthaltenen Sachverhalts gehört werden. Die Entscheidung über den Antrag bleibt der Urteilsberatung vorbehalten. Inzwischen sind die Zeugen gehört.
Gericht sieht kein Verwertungsverbot wegen Übermüdung
Am 5. Hauptverhandlungstag erklärte die Kammer nun, keine Gründe für ein Verwertungsverbot zu sehen. Es läge keine Übermüdung vor. Zwar habe die Mandantin über 30 Stunden nicht geschlafen. Sie habe sich aber in diesem Zeitraum 2 x über jeweils 30 min. ausruhen und so ihre geistige Leistungsfähigkeit regenerieren können. Über den Verwertungswiderspruch ist noch nicht entschieden.
Strafverteidiger sieht verbotene Vernehmungsmethode und Verwertungsverbot wegen Übermüdung
Meine eigenen Recherchen bei einer Professorin für Neurologie widerlegen nun das sachunkundige (Fehl)urteil der Kammer. Sehr detailliert und nachvollziebar konnte sie mir sachkompetent begreiflich machen, was ich laienhaft schon vorher annahm: dass nach einem Wachzustand von 38 Stunden, einer dabei erfolgten schwierigen Geburt in Becken-Endlage, bei extremen Blutverlust, nach drei Ohnmachten vor der Beschuldigtenvernehmung, bei chronischem Eisenmangel, Gerinnungsanämie und nach Einnahme von schlaffördernden Mitteln vor der Vernehmung eine erheblich beeinträchtigte geistige Leistungsfähigkeit vorgelegen hat. Und das trotz „Ruhephasen“.
Antrag der Verteidigung auf Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens
Am 6. Hauptverhandlungstag (26.09.13) habe ich nun die Einholung eine neurologischen Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache beantragt (sinngemäß), dass die Mandantin in Folge der Erschöpfung in ihrer Willensentschließung und Willensbetätigung erheblich beeinträchtigt war. Der Antrag ist hier veröffentlicht. Festes Ziel der Verteidigung bleibt es, unter diesen Umständen ein Verwertungsverbot wegen der verbotenen Vernehmungsmethode zu erreichen. Das gilt um so mehr, weil auch der BGH von einem Verwertungsverbot ausgeht, wenn der Beschuldigte 30 Stunden vor der Vernehmung ohne Schlaf gewesen ist. Es bleibt eine verbotene Vernehmungsmethode und nichts anderes!
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3 Kommentare
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Ein Widerspruch wird in der HV dadurch zu Protokoll eingelegt, dass er in einem Satz erklärt wird, und zwar nach der Vernehmung der Zeugen, weil man davor kein Wort erhält. Das kan man in § 257 StPO nachlesen.
Zu § 136a StPO gibt es kein Widerspruch. Für eine Verfahrensrüge reicht es, dass man ausführt, dass die Angeklagte vernommen wurde mit unzulässigen Mitteln, das kann man nötigerweise mit Beschlüssen beweisen. So sehe ich das. Es steht auch in dem Gesetztestext, § 136a StPO.