Urteil wegen angeblichem Kindesmissbrauchs aufgehoben

Die Urteisaufhebung durch den VI. Strafsenat kam wie sie kommen musste. Das Urteil des Landgerichts Magdeburg wurde den Anforderungen aus § 261 StPO nicht gerecht.

Der Schuldspruch des Landgerichts

Das Landgericht  hatte  meinen späteren Mandanten wegen schweren sexuellen Missbrauchs in einem Fall an einer zum Tatzeitpunkt kindlichen Zeugin zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

Die Verteidigung übernahm ich erst in der Revisionsinstanz am  BGH. Aus dem Urteil ergab sich, dass es den strengen Anforderungen nicht gerecht wurde,  die an die Würdigung der Aussage eines Belastungszeugen als einzigen Belastungszeugen zu stellen sind. Das Urteil litt unter durchgreifenden Erörterungsmängeln.

Revisionsvorbringen führt zu späterer Urteilsaufhebung

Die Revisionsbegründung stellte dann die Urteilsmängel im Einzelnen dar.

Rechtsfehler bei der Darstellung der Aussageentstehung – Grund späterer Urteilsaufhebung

Die Aussageentstehung wurde im Urteil nicht nachvollziehbar bzw. viel zu kurz dargelegt. So wurde nur mitgeteilt, dass sich die Belastungszeugin (angebliches Opfer) zunächst ihrer Freundin  anvertraut habe. Was sie ihr genau anvertraut haben will verschwieg das Urteil. Auch die genauen Umstände, wie es zu dieser Offenbarung gegenüber der Freundin wann und wo gekommen sein soll, lässt das Urteil nicht erkennen. Das Urteil lässt auch offen, ob die Freundin polizeilich oder gerichtlich als Zeugin vernommen worden ist. Unter den Beweismitteln wurde sie nicht benannt.

Fehlende Motivanalyse

Die Mutter der Belastungszeugin bestätigte nach dem Urteil, von ihrer Tochter über den sexuellen Missbrauch  erfahren zu haben. Hier verschweigt das Urteil insbesondere die konkreten Umstände, unter denen es dazu gekommen sein soll, dass die Tochter der Mutter über eine angebliche Vergewaltigung durch den Beschwerdeführer berichtet hat. Im Urteil wurde dazu nur lapidar ausgeführt, dass die Mutter zum Zeitpunkt der Offenbarung durch die Tochter „keinen Zugang zu ihr gehabt“ habe. Es habe „wieder eine Streitigkeit“ gegeben, infolgedessen es zu dieser Offenbarung eines angeblichen sexuellen Missbrauchs gekommen sei. Das Gericht hätte gerade unter diesen Umständen die Hintergründe des Streits ergründen und zum Gegenstand der Glaubwürdigkeitsprüfung machen müssen, um sich so ein Bild zu einer möglichen Falschbezichtigung durch die Belastungszeugin und zu ihren möglichen Motiven machen zu können. Es fehlt hier, aber auch insgesamt an einer Motivanalyse. Auch dieser Urteilsmangel wäre für sich allein genommen ausreichend für die Urteilsaufhebung gewesen.

Darstellungsmangel der polizeichen Zeugenvernehmung als Grund für die spätere Urteilsaufhebung

Eine geschlossene Darstellung der wesentlichen Angaben der Belastungszeugin anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung  ließ das Urteil ebenfalls vermissen.

Darstellungsmangel bei der gerichtlichen Zeugenvernehmung als Grund für die spätere Urteilsaufhebung

Aber auch eine geschlossene Darstellung der wesentlichen Angaben der Belastungszeugin anlässlich ihrer gerichtlichen Zeugenvernehmung waren dem Urteil nicht zu entnehmen. Das hätte unter keinen Umständen unterlassen werden dürfen. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Belastungszeugin dabei abweichende Angaben zu der polizeilichen Vernehmung tätigte. Denn das Urteil gibt die Psychologin Dr. K. wieder (Glaubwürdigkeitsgutachten), wonach die Belastungszeugin erstmals in der Hauptverhandlung bekundet habe, „es sei mit dem Angeklagten auch zu Oralverkehr gekommen und sie habe ihn darüber hinaus mit der Hand befriedigen müssen“. Mit diesen Widersprüchen und Weiterungen im Aussageverhalten hätte sich das Landgericht zwingend zwecks Bewertung der Glaubwürdigkeit der Zeugin auseinandersetzen müssen. Auch  das ist rechtsfehlerhaft unterblieben. Auch das ein Grund der späteren Urteisaufhebung.

12 von 13 angeklagten Missbrauchshandlungen schweigend eingestellt

Aber auch unter dem besonderen Gesichtspunkt, dass von den insgesamt 13 angeklagten Missbrauchshandlungen 12 (!) durch die Staatsanwaltschaft eingestellt worden sind – die Gründe teilte das Urteil nicht mit – hätte eine detaillierte Wiedergabe der Aussagen der Belastungszeugin im Urteil erfolgen müssen. Hier hätte es sich dem Gericht förmlich aufdrängen müssen, dass eine Belastungstendenz der Belastungszeugin vorgelegen haben muss. Mit dieser Problematik setzte sich das Urteil nicht auseinander.

Unzureichende Glaubhaftigkeitsprüfung als Grund fer Urteilsaufhebung

Das Urteil führte aus, dass sich „die Kammer dem Ergebnis der Sachverständigen nach eigener kritischer Prüfung und Würdigung voll umfänglich angeschlossen (habe), so dass die Angaben des Kindes  zu dem Kerngeschehen am 03. auf den 04.03.2017 wie festgestellt, wie auch das von ihr geschilderte Geschehen in der Küche in xyz an einem nicht mehr bestimmbaren Tag der Beaufsichtigung im Jahr 2016 durch den Angeklagten im festgestellten Umfang für glaubhaft und das Kind für glaubwürdig erachtet werden.“  Es ist rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht keine Gründe mitteilt, warum es den Ausführungen und insbesondere dem Ergebnis der Sachverständigen hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Belastungszeugin gefolgt sein will. Eine banale Bezugnahme reicht unter den dargestellten Umständen nicht aus. Daher ist zwingend davon auszugehen, dass sich das Gericht gerade nicht von den Ausführungen und vom Ergebnis der Gutachter überzeugen konnte.

Bundesgerichtshof folgte bei der Urteilsaufhebung im Wesentlichen dem Vortrag des Strafverteidigers

Der BGH folgte  im Kern der Rechtsauffassung der Verteidigung. Mit Beschluss des VI. Strafsenats vom 02. Juli 2020 kam es sodann zu der mit der Revision angestrebten Urteisaufhebung.

Weitere Fälle rund um die Urteilsaufhebung in Revisionsverfahren

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