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Rechtsanwalt Oliver Marson

Penis, Hoden und Rechtsfolgenlösung

Im Februar 2018 hatte der BGH wieder ein besonders pikantes Urteil zu fällen. Nach der traurigen Berühmtheit des Kannibalen von Rotenburg, hatte der BGH einen ähnlichen Fall vorliegen. Doch nicht nur der Fall an sich ist Hollywood-reif. Die Juristerei schafft es auch solch einem spannenden Fall mit der Theorie der Rechtsfolgenlösung noch einen drauf zu setzen und auch eine sehr spannende juristische Grundsatzfrage zu diskutieren.

Der Wunsch nach Schlachtung

Der Angeklagte hegte bereits länger den Wunsch an der „realen Schlachtung eines Menschen“ teilhaben zu können. Dafür registrierte er sich 2013 auf einer Internetseite, auf der die Nutzer sich über kannibalistische Phantasien austauschen. Nach mehreren Versuchen fand er in der Person St. sein Gegenüber.

Dieser war seit mind. einem Jahr auf der Suche nach einer Person, die ihn „schlachten und verspeisen“ würde. Nach dem ersten Kontakt tauschten sich die beiden öfter telefonisch und schriftlich aus und vereinbarten, sich am 04.11.2013 zu treffen. Dazu fuhr St. nach Dresden und beide beschlossen, dass sie St. durch Erhängen im Kellerstudio des Angeklagten töten wollen.

Dies wurde dann auch durchgeführt. Im Keller des Angeklagten, der als SM-Studio ausgestattet war, baute der Angeklagte eine Schlingenkonstruktion mit elektrischer Drahtseilwinde. St. legte sich die Schlinge um den Hals und zog zu. Dann wollte er noch die Hände hinter dem Rücken verbunden bekommen, was der Angeklagte daraufhin tat. Mittels der Seilwinde zog der Angeklagte den St. nach oben. Unklar ist im Weiteren, ob das Opfer durch das Ersticken bereits starb oder der Hirntod erst später durch den vom Angeklagten beigebrachten Kehlschnitt erfolgte.

Anschließend – das weitere Vorgehen filmte der Angeklagte – hängte er St. an den Füßen auf und begann mit der Zerlegung, wobei er besonderes Interesse an den Geschlechtsteilen des St. zeigte.

Warum entscheidet der BGH erst jetzt darüber?

Das erste Urteil wurde vom Landgericht Dresden am 01.04.2015 gefällt. Das Urteil lautete Mord in Tateinheit mit Störung der Totenruhe. Die angedrohte Freiheitsstrafe betrug acht Jahre und sechs Monate. Daraufhin legten sowohl der Angeklagte, als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein.

Diese hatte Erfolg. Der BGH entschied am 06.04.2016 – genau ein Jahr später – dass das Urteil aufzuheben ist und verwies die Verhandlung zurück ans Landgericht. Das Landgericht entschied erneut und missachtete eine juristische Wertung des BGH-Urteils, was letztendlich zu einer erneuten Revision und einem zweiten BGH-Urteil führte, das erst jetzt am 21.02.2018 gefällt wurde.

Die dreijährige Streitfrage Rechtsfolgenlösung – Ja oder Nein?

Hauptstreitpunkt war die Frage, ob die Einwilligung des St. zu seiner Tötung im Strafmaß des Urteils gegen den Angeklagten berücksichtigt werden kann.

Grundsätzlich ist das Leben ein Rechtsgut, über das nicht verfügt werden kann. Es steht im Grundgesetz an oberster Stelle. Im Strafrecht wird das daran deutlich, dass in § 216 StGB genau dafür ein Straftatbestand geschaffen wurde. Auch wenn das Opfer jemand anderen ausdrücklich dazu bestimmt, ihn zu töten, wird derjenige, der die Tötung ausführt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft.

Dieser Straftatbestand wurde aber im vorliegenden Fall verneint, da der Tötungswunsch des St. für den Angeklagten nicht handlungsleitend gewesen wäre. Es sei für ihn zwar notwendige Voraussetzung gewesen, aber nicht das wichtigste Handlungsmotiv. Dieser Tatbestand erfasst also nur Fälle, in denen der Täter niemanden töten wollte, es aber nur tut, weil das Opfer ihn dazu bestimmt.

Um die Einwilligung des Täters aber in die Strafe miteinfließen lassen zu können, hat das Landgericht – 2x – die Rechtsfolgenlösung angewandt. Diese besagt, dass wenn bei Mord eigentlich lebenslange Freiheitsstrafe angedroht ist, ausnahmsweise nach § 49 StGB gemildert werden kann, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Ausmaß der Schuld verringern.

Die Einwilligung des St. soll als außergewöhnlicher Umstand gelten. Dem hat der BGH – zweimal widersprochen. Die Rechtsfolgenlösung gilt für minder schwere Fälle und soll nur dann bejaht werden, wenn Taten vorliegen, die durch eine „notstandsnahe, auswegslos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweifelung [oder] aus tiefem Mitleid begangen werden“.

Solch eine Sondersituation liege hier nicht vor. Der Täter handelte hauptsächlich zur Befriedigung des eigenen Geschlechtstriebs. Wie auch in der juristischen Bewertung des § 216 richtig erkannt, ist die Einwilligung des Täters zwar Voraussetzung, nicht aber Motiv für die Tat. Durch die Erfüllung des Mordmerkmals der Befriedigung des Geschlechtstriebs hat der Täter das Lebens eines anderen Menschen seinem eigenen Geschlechtstrieb untergeordnet. Laut BGH sei daher eine Milderung ausgeschlossen und nur die lebenslange Freiheitsstrafe angemessen.

Das Ende vom Lied

Mit dieser letzten Entscheidung in dieser Sache hat der BGH den Täter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Übrigens wurden alle Teile des Opfers im Garten verteilt gefunden. Nur der Penis und ein Hoden haben gefehlt.