Unterschiede bei der Befangenheit

Nach den §§ 22 ff. StPO können Richter, Protokollanten und Gutachter für befangen erklärt werden. Die Befangenheit des Staatsanwalts ist hingegen gesetzlich nicht vorgesehen. Er ist also nicht wie ein Richter auf Grund eines Befangenheitsantrags  „austauschbar“, wenn er befangen ist. Und doch gibt es Umstände, unter denen ein Staatsanwalt nicht als Sitzungsvertreter im Gerichtsverfahren auftretenn darf.

Der als Zeuge vernommene Staatsanwalt

So kann nach ständiger Rechtsprechung ein als Zeuge vernommener Sitzungsstaatsanwalt in derselben Hauptverhandlung nicht weiter als Anklagevertreter tätig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14.02.2018 – 4 StR 550/17).

Diese bis heute ungebrochene Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, die Staatsanwaltschaft an unbefangene und objektive Tätigkeit zu binden. Sie soll – wie so oft gesagt, geschrieben und gehört – die „objektivste Behörde der Welt“ sein. Und das zu Recht. Denn es ist zu
verhindern, dass es zu Fehlurteilen kommt oder die Staatsanwaltschaft
an Fehlurteilen mitwirkt. Der Grundgedanke der Objektivität und Unbefangenheit
findet in § 160 Abs. 2 StPO seinen konkreten Niederschlag, mit dem die Staatsanwaltschaft und damit jeder Staatsanwalt bei der Tätigkeit zur Berücksichtigung belastender und entlastender Umstände  gesetzlich verpflichtet ist.

Die Befangenheit des Staatsanwalts lebt im rechtsleeren Raum

Es ist also der gesetzliche Auftrag des Staatsanwalts, nicht nur gegen, sondern auch für einen Angeklagte zu ermitteln und zu verhandeln. Er hat entlastende und belastende Beweismittel zu berücksichtigen.  Aber wenn er das nicht macht wird der Angeklagte ihn nicht los, weil er gegen ihn nicht wie gegen einen Richter mit einem Befangenheitsantrag vorgehen kann. Die Befangenheit des Staatsanwalts hat gesetzlich keine Folgen. Sie kann tatsächlich vorhanden sein, dann aber gesetzlich folgenlos. Die rechtspolitischen Versuche, die Befangenheit des Staatsanwalts gesetzlich zu regeln, scheiterte immer wieder. Vielleicht deshalb, weil ein bißchen Verdrängung von Rechtsstaatlichkeit zur Durchsetzung von Macht einfacher ist.

Der unter Straftatverdacht stehende Staatsanwalt

Dann gibt es Fälle, in denen der Staatsanwalt Sizungsvertreter in einer Gerichtsverhandlung ist, obwohl gegen ihn wegen des Tatverdachts der Rechtsbeugung und der Freiheitsberaubung ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren anhängig ist. Sie werden denken, dass geht nicht. Sie denken falsch, denn es geht doch. Das beweist das Strafverfahren um die Chemnitzer Messerattacke im August 2018. Wie hier nachzulesen ist, hatte mein Mandant Strafanzeige gegen den Staatsanwalt erstatten lassen, der dann als Sitzungsvertreter im Verfahren gegen einen Angeklagten fungierte. Gegen meinen Mandanten war keine Anklage erhoben worden, da das Verfahren zuvor eingestellt wurde. Bun aber war er als Zeuge geladen und verweigerte die Aussage im Beisein des tatverdächtigen Staatsanwalts.

Darf der Zeuge das fordern?

Der Zeuge kann im Regelfall sein Aussageverhalten nicht an Bedingungen knüpfen. Und dennoch tat er es, da im konkreten Fall eine Analogie zu der Rechtsprechung zu dem als Zeugen vernommenen Staatsanwalt gibt . Hier wird dazu folgende Auffassung vertreten:

Ein Staatsanwalt ist an der Teilnahme einer gerichtlichen Zeugenvernehmung als Sitzungsvertreter gehindert, wenn gegen ihn ein Ermittlungsverfahren, etwa wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung eingeleitet wurde und dieser Tatverdacht in einem unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang zu dem anhängigen Strafverfahren, dem zu vernehmenden Zeugen und dem Gegenstand der Zeugenvernehmung steht.

Denn wenn die Objektivität und Unbefangenheit eines Staatsanwalts schon dann verneint wird, wenn er als Zeuge vernommen wurde und ihm deshalb die Sitzungsvertretung im selben Verfahren verwehrt ist, muss das erst recht in Fällen wie diesem hier gelten, in dem der Staatsanwalt
im selben Verfahren, zum gleichen Gegenstand unter Tatverdacht steht, gegenüber einem Zeugen und dem Angeklagten Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung begangen zu haben.

Diese Rechtsfrage hat bisher (Stand April 2019) kein Gericht entschieden. Das Landgericht Chemnitz steht nun erstmals vor der Aufgabe, sich zu positionieren.

Chemnitzer Strafprozess müsste platzen

Wenn das Landgericht dieser unausweichlichen Auffassung folgt wird es für die Zeugenvernehmung meines Mandanten auf die Auswechselung des Sizungsvertreters der Staatsanwaltschaft hinwirken.  Dann aber aber wird der gesamte Prozess von vorne aufgerollt werden müssen. Denn das Ermittlungsverfahren gegen den Staatsanwalt war bereits eingeleitet worden als am 18. März 2019 der Prozess gegen den Angeklagten begann. Wird die Justiz  zur Gewährleistung eines fairen Prozesses den Mut zu juristischer Ehrlichkeit haben und konsequent handeln?