Revision zum Kammergericht führt zur Urteilsaufhebung

Das Kammergericht Berlin hob in Folge der Revision meines Mandanten im November 2019 ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten auf. Mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin war meinem Mandanten vorgeworfen worden, im Zeitraum zwischen 2015 und 2017 sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren, sexuelle Handlung vor einem Kind vorgenommen (Taten zu 1 und 2), auf ein Kind durch Vorzeigen pornographischer Abbildungen oder Darstellungen eingewirkt (Taten zu 3-5) und kinderpornographische Schriften besessen (Tat zu 6) zu haben.

Das vor dem Kammergericht angegriffene Urteil des Amtsgerichts Tiergarten

Mit Urteil vom 28.03.2019 wurde mein Mandant wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 4 Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitzes jugendpornographischer Schriften verurteilt. Mit dem Urteil wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verhängt.

Die Revisionsrügen entsprechend dem Revisionsbegründungsschriftsatz

Gegen das Urteil des AG Tiergarten wurde zum Kammergericht Berlin Revision eingelegt. Gerügt wurde sowohl die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Verletzung der Umgrenzungsfunktion der Anklageschrift

Gerügt wurde zunächst die Verletzung des § 200 StPO. Die Anklage entsprach durch Verletzung der Umgrenzungsfunktion teilweise nicht den gesetzlichen Anforderungen. Das betraf jedenfalls die Vorwürfe, mit denen es die Anklage unterließ, die vermeintlich vorgespielten pornographischen Filme konkret und unverwechselbar zu bezeichnen.

Die rechtswidrige Ablehnung der Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens

In der Hauptverhandlung stellte ich als  Strafverteidiger des Angeklagten einen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Glaubhaftigkeit der Aussagen des vermeintlichen kindlichen Opfers.  Zum Beweisthema wurde vorgetragen:

„Das Sachverständigengutachten wird unter Berücksichtigung der Aussagefähigkeit (Zeugentüchtigkeit), der Aussagequalität und der Aussagezuverlässigkeit zu dem Ergebnis kommen, dass schon die Aussagefähigkeit zu den relevanten Anklagevorwürfen in Hinblick auf eine ausgeprägte ADHS-Erkrankung nicht gegeben ist. In jedem Falle wird das Gutachten zu dem Ergebnis kommen, dass die Unwahrhypothese nicht zu verwerfen ist und die kindlichen Zeugenaussagen zu den vermeintlichen Tathandlungen des Angeklagten unglaubhaft sind.“

Der Antrag wurde durch das Amtsgericht Tiergarten unter Verstoß gegen § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO verworfen.

Sachbeschwerde wegen lückenhafter Beweiswürdigung bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellation

Gerügt wurde auch die amtsgerichtliche Beweiswürdigung nach § 261 StPO. Sie hielt in der hier vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation auch nach dem eingeschränkten revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstab (vgl. BGH, Urteil vom 29.04.2015 – 5 StR 79/15 m.w.N.) sachlich-rechtlicher Prüfung nicht stand.

Denn, wenn  das Gericht die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf die Aussagen des vermeintlichen Opfers stützen will, müssen die Urteilsgründe eine zusammenhängende Darstellung der Aussagen mit den zugehörigen Details enthalten, die eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz revisionsrechtlich möglich machen. Dabei muss im Urteil eine Darstellung und Auseinandersetzung mit den im Einzelnen festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Konstanzen und/oder Abweichungen in den jeweiligen Aussagen der Belastungszeugen erfolgen.

Außerdem muss sich das Gericht in den Urteilsgründen mit der Entstehungsgeschichte der Aussagen befassen und insbesondere mitteilen, wie es zur Aufdeckung der vermeintlichen Taten und zur Anzeigeerstattung kam. Der Entstehungsgeschichte einer Aussage kommt gerade bei der Bewertung kindlicher Zeugen in vermeintlichen Missbrauchsfällen besondere Bedeutung zu. Das ist ständige Rechtsprechung. Diesen Anforderungen wurde das angegriffene Urteil nicht gerecht.

Kammergericht Berlin folgt Revision des Angeklagten und hob Urteil auf

Schon auf die Sachbeschwerde hob das Kammergericht das Urteil fast vollständig auf. Aber auch die beiden Prozessrügen, so das Revisionsgericht, hätten Erfolg gehabt. Insbesondere verwies die Revisionsinstanz darauf, dass im Zuge der neuerlichen Hauptverhandlung ein aussagepsychologisches Sachverständigengutachen zur Glaubhaftigkeit der Aussagen des Belastungszeugen einzuholen sein wird.

Das Kammergericht rügt mit seinem Beschluss vom 29. November 2019 aber auch die lückenhafte Strafzumessungserwägungen. So seien gem. § 74 StGB ein Laptop und Festplatten eingezogen worden. Dieser Umstand sei zu Gunsten des Verurteilten bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.

Weitergehende Informationen

Weitere Beiträge zur konkreten Rechtsargumentation des Kammergerichts werden folgen. Hier finden Sie auch eine Entscheidung des OLG Brandenburg zur Notwendigkeit der Einholung von Glaubwürdigkeitsgutachten. Dieses Strafverfahren endetete zuletzt mit einem Freispruch am Amtsgericht Oranienburg.