Kontaktverbot im Zusammenhang mit dem Coronavirus

Bundeseinheitliches vorübergehendes Kontaktverbot wegen der Coronakrise

Kontaktverbot in der Coronakrise
Rechtsanwälte Dorst-Roxin & Marson

Kontaktverbot in der Coronakrise bedeutet in nächster Zeit in allen Bundesländern: es gilt ab sofort ein Kontaktverbot, jedoch ist damit eine generelle Ausgangssperre noch nicht völlig vom Tisch.

Was beinhaltet dieses Kontaktverbot nach den Vorstellungen der Bundesregierung?

Eckpunkte des neuen Kontaktverbotes sind:

- Keine Versammlungen, Veranstaltungen und sonstigen Zusammenkünfte, sowohl im öffentlichen als auch im privaten Raum, soweit es sich nicht um Personen des gleichen Haushaltes handelt,

- Verlassen des Hauses bzw. der Wohnungen nur noch einzeln oder in Begleitung eines notwendigen Helfers/Begleiters oder mehrerer Personen des gleichen Haushaltes,

- Mindestabstand zwischen den Personen von 1,50 m, nach Möglichkeit von 2 m,

- Einrichtungen mit Publikumsverkehr, soweit sie überhaupt noch geöffnet haben dürfen, haben die allgemeinen Hygienevorschriften einzuhalten.

Gesetzliche Umsetzung in Landesrecht

Nach aktueller Rechtslage haben die einzelenen Bundesländer dieses von der Bundeskanzlerin verkündete Kontaktverbot nach § 32 Infektionsschutzgesetz in eine Rechtsverordnung umzusetzen und können dies noch näher ausgestalten und konkretisieren.

Verstöße gegen das Kontaktverbot

Bundesregierung und die einzelnen Regierungen der Bundesländer kündigen an, etwaige Verstöße gegen die Anordnungen des Kontaktverbotes nach dem Infektionsschutzgesetz zu verfolgen und zu ahnden.

Welche Strafen drohen?

Bei Verstößen gegen das  Infektionsschutzgesetz drohen Bußgelder, aber auch Geld- und Freiheitsstrafen.
Verstöße gegen bestimmte Anordnungen nach dem Infektionsschutzgesetz werden als Ordnungswidrigkeit oder - in schweren Fällen - sogar als Straftat mit entsprechenden Konsequenzen eingestuft. Der Katalog der Ordnungswidrigkeiten ist lang (§ 73 Abs. 1a Nr. 1 bis 24 IfSG).

Ordnungswidrig ist bei fahrlässigem oder vorsätzlichem Verstoß z.B.:

ein Verstoß gegen die Meldepflichten, sei es durch keine, eine unrichtige, eine verspätetete oder unvollständige Information (§ 73 Abs. 1a Nr. 1 IfSG),
die Nichterteilung von Auskünften, die Nichtvorlage von Unterlagen, nicht ermöglichte Zugangsrechte im Zusammenhang mit behördlichen Maßnahmen (§ 73 Abs. 1a Nr. 3, 4, 5),
die Weigerung einer betroffenen Person, sich untersuchen oder Untersuchungsmaterial entnehmen zu lassen oder Auskünfte zu seinem Gesundheitszustand zu geben (§ 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG),
die Weigerung, behördliche Anordnungen in Gemeinschaftseinrichtungen umzusetzen (§ 73 Abs. 1a Nr. 6 IfSG),
das Verwenden nicht zugelassener Mittel oder Methoden zur Desinfektion (§ 73 Abs. 1a Nr. 7 IfSG),
das Betreten von Kinderbetreuungs-Räumlichkeiten als betroffener Mitarbeiter (§ 73 Abs. 1a Nr. 14 IfSG)
Es sind Geldbußen bis zu 2.500 bzw. 25.000 EUR vorgesehen (§ 73 Abs. 2 IfSG).

Corona-Straftaten: Was ist nach dem Infektionsschutzgesetz eine Straftat?

Bei strafrechtlicher Relevanz kann eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu maximal fünf Jahren verhängt werden (§§ 74, 75 IfSG). Als Straftat wird u.a. bewertet:

Ein  vorsätzlicher Verstoß gegen die Meldepflichten (§ 74 IfSG),
ein Verstoß gegen eine Quarantäne-Anordnung,
ein Verstoß gegen das berufliche Tätigkeitsverbot,
ein Verstoß gegen behördliche Maßnahmen im Zusammenhang mit der Schließung von Gemeinschaftseinrichtungen, der Untersagung oder Beschränkung von Großveranstaltungen, des Zutritts oder Verlassens bestimmter Orte (§ 75 Abs. 1 Nr. 1 IfSG).
Wer durch einen Verstoß nachweislich das Corona-Virus weiterverbreitet, muss in jedem Fall mit einer Freiheitsstrafe (drei Monate bis fünf Jahre) rechnen (§ 75 Abs.3 IfSG).

Aktualisierte Informationen finden Sie hier.

Kompetente Strafverteidigung bei Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz

Wir sichern Ihnen mit unserer jahrelangen Praxiserfahrung als Fachanwälte im Strafrecht eine kompetente Strafverteidigung zu. Wir erarbeiten passgenaue Verteidigungsstrategien in Absprache mit unseren Mandanten. Zielsetzung ist es in allen Fällen, nach Möglichkeit eine geräuschlose Verfahrenserledigung im Interesse des Mandanten.

 


Keine Untersuchungshaft bei Verdacht des schweren sexuellen Missbrauchs

Fachanwalt Strafrecht , Untersuchungshaft, Hadtverschonung, sexueller Missbrauch, kinderpornographische Schriften, Vergewaltigung
Rechtsanwalt Oliver Marson

Landgericht Berlin beschließt  Haftverschonung

Das Amtsgericht Tiergarten hatte im November 2019 Untersuchungshaft gegen einen Mandanten angeordnet. Er steht im Verdacht als Trainer Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht zu haben. Es wird wegen sexuellem Missbrauch und wegen schwerem sexuellem Missbrauch in über 20 Fällen ermittelt.

Wiederholungsgefahr als Grund für Anordnung der Untersuchungshaft

Das Amtsgericht stütze den Haftbefehl auf Wiederholungsgefahr gem. § 112a StPO, die auf eine innere Neigung pädosexueller Übergriffe auf Jungen gestützt wurde. Das ergäbe sich aus dem langen Tatzeiraum und der Vielzahl der Übergriffe.

Haftprüfung blieb erfolglos

Auf Antrag der Verteidigung kam es Anfang Dezember 2019 zur Haftprüfung. Die von der Verteidigung vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Argumente verhallten in den Ohren der Haftrichterin. Ironisch und etwas schnippig fragte sie mich, ob ich wissen wolle, was sie von dem Antrag auf Aufhebung des Haftbefehls bzw. Haftverschonung halte. Oder ob ich gleich meinen Antrag zurücknehme. Ich nahm die Anträge selbstverständlich nicht zurück. Daraufhin ordnete die Richterin die Fortdauer der Untersuchungshaft an.

 Beschwerde gegen Haftbefehl und Haftfortdauer

Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung ließ der Mandant Beschwerde einlegen. Wieder wurde die Aufhebung des Haftbefehls, hilsweise Haftverschonung beantragt. Das Landgericht Berlin hat nun mit Beschluss vom 20. Dezember 2019 Haftverschonung angeordnet. Der Mandant wurde am gleichen Tag aus der Untersuchungshaft in Berlin Moabit entlassen. Das Gericht erteilte Auflagen. Danach ist es dem Mandanten untersagt, als Trainer von Kindern und Jugendlichen zu fungieren oder sonstwie mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Entgegen der Auffassung der Verteidigung ist das Landgericht der Auffassung, dass der Haftgrund der Wiederholungsgefahr bestehe. Jedoch könne Haftverschonung gem. §116 Abs. 3 StPO angeordnet werden. Es sei die Erwartung gerechtfertigt, dass der Mandant die erteilten Auflagen erfüllen und so der Sicherungszweck der U-Haft erfüllt werde.

Weitere Informationen zur Abwendung der Untersuchungshaft

Natürlich kann nicht in allen Fällen die Untersuchungshaft abgewendet werden. Das hängt immer von den individuellen Umständen des Einzelfalles ab. Aber das zu erreichen ist möglich, auch beim Vorwurf vorsätzlicher Tötungsdelikte. Eines von vielen Beispielen finden Sie hier.

 


Kammergericht Berlin zerpflückt Urteil wegen Kindesmissbrauch

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Urteil des Amtsgerichts Tiergarten aufgehoben

Das Kammergericht Berlin hob Ende November 2019 auf meine Revision ein Urteil des Amtsgerichts Tiergarten auf. Der Beschluss des Kammergerichts schloss sich weitestgehend dem Revisionsvorbringen des Revisionsführers bzw. des Verteidigers an.

Urteil des Amtsgerichts Tiergarten

Mit Urteil vom 28.03.2019 wurde mein Mandant wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 4 Fällen und wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in Tateinheit mit Besitzes jugendpornographischer Schriften verurteilt. Mit dem Urteil wurde eine Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verhängt. Der Computer wurde gem. § 74 StGB eingezogen. Ich berichtete.

Revision zum Kammergericht Berlin

Mit der Revision wurde sowohl die Verletzung formalen und  materiellen Rechts gerügt.

Unwirksamkeit der Anklage und des Eröffnungsbeschlusses

Mit der Revision wurde zunächst gerügt, dass die Anklage teilweise nicht den Voraussetzungen des § 200 StPO entsprach und sie deshalb, ebenso wie der darauf beruhende Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts, unwirksam war. Das Kammergericht Berlin folgte dieser Argumentation, wie hier nachzulesen ist.

Rechtswidrige Ablehnung eines Antrags auf Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens

In der Hauptverhandlung ließ der spätere Revisionsführer über seinen Verteidiger einen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Nebenklägers stellen. Zum Beweisthema wurde vorgetragen:

„Das Sachverständigengutachten wird unter Berücksichtigung der Aussagefähigkeit (Zeugentüchtigkeit), der Aussagequalität und der Aussagezuverlässigkeit zu dem Ergebnis kommen, dass schon die Aussagefähigkeit zu den relevanten Anklagevorwürfen im Hinblick auf eine ausgeprägte ADHS-Erkrankung nicht gegeben ist. In jedem Falle wird das Gutachten zu dem Ergebnis kommen, dass die Unwahrhypothese nicht zu verwerfen ist und die kindlichen Zeugenaussagen zu den vermeintlichen Tathandlungen des Angeklagten unglaubhaft sind."

Die unverzichtbare Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen wurde in dem Antrag auf konkrete Besonderheiten im vorliegenden Fall gestützt. Das betraf konkret die ADHS-Erkrankung des Nebenklägers, der Besuch der daraus resultierenden Sonderschule, die Therapie und die medikamentöse Behandlung im tatrelevanten Zeitraum sowie die daraus abzuleitende Beeinflussung des Aussageverhaltens. Den Antrag lehnte das Amtsgericht mit einer unprofessionellen Begründung ab, so dass sie hier keiner Erwähnung bedarf. Das Kammergericht hob das Urteil zwar schon wegen der Sachbeschwerde auf, so dass es über die Prozessrüge nicht entscheiden musste. Es wies aber darauf hin, dass auch diese Rüge Erfolg gehabt hätte und für das neue Verfahren ein aussagepsychologisches Gutachten herangezogen werden müsse. Zur Begründung verwies das Kammergericht Berlin auf die ADHS-Erkrankung des Nebenklägers. Sie stellt eine Besonderheit dar, die ein Gericht überfordert, ohne sachverständige Hilfe die Glaubwürdigkeit eines Zeugen zu bewerten.

Kammergericht Berlin hebt Urteil wegen Sachmängeln auf

Aussagequalität und Aussagekonstanz

Stützt das Gericht die Verurteilung wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern auf die Aussagen des vermeintlichen Opfers, müssen die Urteilsgründe eine zusammenhängende Darstellung der Aussagen mit den zugehörigen Details enthalten, die eine Überprüfung der Aussagequalität und -konstanz revisionsrechtlich möglich machen. Dabei muss im Urteil eine Darstellung und Auseinandersetzung mit den im Einzelnen festgestellten, auch das Kerngeschehen betreffenden Konstanzen und/oder Abweichungen in den jeweiligen Aussagen der Belastungszeugen erfolgen.

Entstehungsgeschichte von Aussagen bei kindlichen Zeugen

Zudem muss sich das Gericht in den Urteilsgründen mit der Entstehungsgeschichte der Aussagen befassen und insbesondere mitteilen, wie es zur Aufdeckung der vermeintlichen Taten und zur Anzeigeerstattung kam. Der Entstehungsgeschichte einer Aussage kommt gerade bei der Bewertung kindlicher Zeugen in Missbrauchsfällen besondere Bedeutung zu.

Die mit der Revision gerügten, konkreten Lücken des Urteils

1. Die Urteilsgründe enthalten keine hinreichend detaillierte Darstellung der den Angeklagten belastenden Aussagen des Nebenklägers. Soweit das Amtsgericht sich (ausschließlich) auf Ausführungen zur Glaubhaftigkeit auf gerichtliche Aussagen des Nebenklägers beschränkt und ausführt, es bestünde „keine Besorgnis, der Nebenkläger habe Aussagen seiner Eltern oder Dritter übernommen“, der Nebenkläger habe „mit seinen Eltern, bei der Polizei und vor Gericht über die Vorfälle geredet“, die Aussageentstehung würde „für die Glaubhaftigkeit der Angaben des Nebenklägers“ sprechen, es gebe „keinen Grund zu der Annahme, er sei von Dritten (insbesondere von seinen Eltern) beeinflusst worden und/oder habe tatsächlich Erlebtes und Fantasie durchmischt", genügt das angesichts der verkürzten und detailarmen Tatfeststellungen nicht.

2. Es hätte einer eingehenden Darlegung der in den verschiedenen Stadien des Strafverfahrens getätigten und sonst schriftlich festgestellten Aussagen des Nebenklägers bedurft. Dies gilt umso mehr, als die Mutter, von der im Urteil die Rede ist und der gegenüber sich der Nebenkläger zunächst ohne Beisein des Zeugen X offenbart haben soll, zeugenschaftlich nicht vernommen wurde. Die Entstehungsgeschichte der Aussage teilt das Gericht nicht vollständig mit.

3. Das Gericht führt lediglich pauschal und somit lückenhaft aus, es habe im „Randbereich Abweichungen zwischen der Aussage des Nebenklägers kurz nach der Tat und der gerichtlichen Aussage des Nebenklägers“ gegeben. Um welche Abweichungen es sich gehandelt haben soll lässt das Urteil offen.

4. Lückenhaft ist das Urteil auch deshalb, weil es sich mit den Aussagen des Nebenklägers im Stadium des Ermittlungsverfahrens nicht auseinandersetzt. Er wurde polizeilich vernommen .

Unbeachtet gebliebene Prüfungsmethodik bei Glaubwürdigkeitsprüfung

Der Glaubhaftigkeitsprüfung von Zeugenaussagen liegt bekanntlich eine festgeschriebene Prüfungsmethodik zugrunde. Im Kern beruht die Prüfung auf drei Säulen, nämlich der Aussagefähigkeit, der Aussagequalität und der Aussagezuverlässigkeit. Die Befunde zu den vorgenannten drei Säulen der Glaubhaftigkeitsprüfung werden in einen hypothesengeleiteten Prozess integriert. Dabei wird nach der Grundsatzentscheidung des BGH vom 30.07.1999 zu den wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten von der Unwahrhypothese ausgegangen. Es wird also zunächst davon ausgegangen, dass die Aussage unwahr, also nicht erlebnisfundiert, ist. Der Unwahrhypothese steht die Alternativhypothese gegenüber, wonach also Aussagen erlebnisfundiert sind. Sie gilt dann, wenn die erhobenen Befunde nicht mehr mit der Unwahrhypothese vereinbar sind.

Auch in dieser Hinsicht ist das Urteil lückenhaft. Denn es ist nicht ersichtlich, dass überhaupt eine Glaubhaftigkeitsprüfung nach dieser von der Rechtsprechung vorgegebenen Methodik erfolgt ist. Auch dadurch entzieht sich das Urteil revisionsrechtlicher Überprüfung. Es bleibt völlig offen, ob die 0-Hypothese angewandt und wie sie überwunden worden sein soll.

Das Kammergericht Berlin folgte der Rechtsargumentation des Strafverteidigers

Die vorgenannten Rügen aus der Sachbeschwerde des Revisionsführers hat das Kammergericht vollständig übernommen und das Urteil weitestgend im Schuldspruch und vollständig im Rechtfolgeausspruch (=Strafmaß) aufgehoben.

Kammergericht Berlin erkennt Lücken bei den Strafzumessungskriterien

Aber das Kammergericht vertrat auch die Auffassung, dass das Gericht nicht geprüft hatte, ob die Einziehung des Computers, auf dem sich kinderpornograhische Videos und Fotos befanden, gerechtfertigt war. Es hätte geprüft werden müssen, ob die Einziehung durch einfache Löschung der inkriminierten Bilder hätte vermieden werden können. Wenn nicht, so hätte die Einziehung strafmildernd berücksichtigt und dazu der Wert des Computers geschätzt werden müssen.

 

 


Selbstmord in JVA Neuruppin-Wulkow

Fachanwalt Strafrecht , Selbstmord
Rechtsanwalt Oliver Marson

Der Tod am Morgen

An einem Morgen  im November 2019 sind wir auf dem Weg in die JVA Neuruppin-Wulkow. Ein inhaftierter Mann wollte meinen Kollegen und mich beauftragen, ihn gegen eine Mordanklage am Landgericht Potsdam zu verteidigen. Zur gleichen Zeit schließt ein Wärter die Zellentür auf. Frische Luft schlägt ihm durch das angeklappte Fenster entgegen. Davor schon kalt am Strick der Mann. Der Ruf der Kraniche, die südwärts ziehen ist das einzige Geräusch, das in den Raum dringt. Die Nachricht von dem Selbstmord erreichte uns durch einen Bediensteten noch auf der Fahrt zur Haftanstalt.

Indizienprozess am Landgericht nach Selbstmord ersatzlos gestrichen

Der Strafprozess sollte bald beginnen. Der Angeklagte soll seine Ehefrau ermordet haben, heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen handelnd. Die Leiche der Ehefrau wurde nie gefunden. Es wäre also ein Prozess ohne Leiche geworden. Indizienprozesse nennt man solche Verfahren. Es gibt keine Leiche und auch sonst keine objektiven Beweismittel, die den Tod, eine unnatürliche Todesursache oder eine vorsätzliche Tötungshandlung belegen können. Indizienprozesse sind umstritten.  Manche nennen sie "Wahrsagerprozesse".  "Böse Zungen" nennen solche Prozesse einen Schandfleck in der Strafjustiz. Das klingt ehrlicher und ist geradeheraus gesagt. Aus Indizien soll eine Indizienkette gebildet werden, die, den klassischen Schuldnachweis ersetzend, zum Schuldspruch führt. Geht das? Natürlich geht das nicht. Aber in der Justizpraxis hat der Indizienprozess seinen festen Platz. Das Strafverfahren wird nun nicht mehr stattfinden und dennoch ist das Urteil längst gesprochen

Das Springer-Urteil

Es bedurfte aber nicht mal eines Indizienprozesses, um festzustellen, was keiner feststellte, weil die BILD es unterstellte und meint, es damit festgestellt zu haben. Die Hilfsrichter dort gehen von Mord aus, obwohl keiner weiß, ob die Frau noch lebt oder wie sie zu Tode gekommen sein könnte. Und da die Hilsrichter von Mord reden, meinen sie feststellend auch, es gäbe einen Mörder. Das Urteil ist gesprochen, auch ohne ein Gericht.

Selbstmord und nur eine wahre Tragödie

Lebt die Frau oder ist sie tot? Wenn sie tot ist, wurde sie fremdverschuldet getötet? Und wer  tötete sie? Wo und wie wurde sie getötet? Und wo ist die Leiche? Es ist nicht tragisch, dass wir es nicht erfahren. Richtete er sich, weil er mit seiner Schuld nicht leben wollte? Es bleibt uns untragisch verborgen. Oder nahm er als Verzweifelter den Strick, weil er meinte, als Unschuldiger schuldig gesprochen zu werden? Hätte der Urteilsspruch so oder so Licht ins Dunkel gebracht? Wohl eher nicht. Ist es tragisch, die Neugierde nicht befriedigt zu haben oder dem Strafanspruch des Staates nicht genüge tun zu können? Wohl nicht. Tragisch nur eines: der Verlust von Vater und Mutter für das zurückgebliebene Kind. Der Mann löschte sich durch den Selbstmord nicht aus: er wirkt fort. Mörderisch. An der Kinderseele seiner Tochter.


Rechtsstaat am Pranger des Chemnitzer Landgerichts

Fachanwalt Strafrecht , Rechtsstaat am Pranger des Chemnitzer Landgerichts, Messerattacke
Rechtsanwalt Oliver Marson

Der Pranger im Mittelalter

Vor dem heutigen Blick auf den Rechsstaat am Pranger erfolgt zunächst ein Rückblick in das Mittelalter: 

„Auf dem Marktplatz errichtete man […] häufig einen Pranger oder eine Schandsäule, an die ein Verurteilter gebunden wurde und wo er gestäupt (ausgepeitscht) oder mit einer Verstümmelung (Zungenabschneiden) bestraft werden konnte.

Um das Publikum anzulocken, kündigte man die Vollstreckung einer solchen Strafe laut an. Dazu eignete sich auch Musik. An manchen Prangern war eine Glocke angebracht, deren Läuten die Menschen herbeizog, mancherorts wurde auch der endliche Rechtstag oder die Hinrichtung durch die Kirchenglocke eingeläutet. Noch eindringlicher konnte das Interesse durch den Stadttrompeter oder durch die Trommeln werden.“ (Schild, Folter, Pranger, Scheiterhaufen, 2010, S. 52 f.)

„War der ‚Staupenschlag‘, das ‚Stäupen‘ bzw. das mit ‚Ruten Streichen‘ die öffentliche, entehrende, weil durch den Scharfrichter oder einen seiner Knechte vollzogene Züchtigung mit Ruten oder Stöcken. Dabei wurde der Verurteilte auf eine Bank gebunden oder an den Pranger, eine Staupsäule oder einen Strafpfahl gestellt und in der Regel mit 40 Schlägen, eine dem Alten Testament entnommene Zahl, auf den nackten Rücken bestraft. […] In älterer Zeit war das Stäupen häufig mit Haarverlust (Dekalvation) verbunden. Dies bedeutet ursprünglich wohl Skalpierung, später völliges Abscheren der Haare.“ (Ebenda, S. 176.)

Der Pranger der Gegenwart

Heute geht das anders. Wir kennen den "Bevölkerungspranger", so den in Chemnitz nach der tödlichen Messerattacke im August 2018, als Massen auf die Strassen gingen und deutsche Frauen bemitleideten, die angeblich von bösen Ausländern sexuell angegriffen worden waren. Dann gibt es den "Medienpranger", dem Kachelmann in einem zum Schauprozess heruntergekommenen Strafprozess ausgesetzt war. Und hinzu kommt der Rechtsstaatpranger, der die Verwirklichung des Ideals vom Rechtsstaat weiter in die Ferne rücken lässt.

Der Rechtsstaat am Pranger der Sächsischen Justiz

Mit dem schuldsprechenden Urteil vom 22. August 2019 wurde Alaa S. zu 9 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe verprangert. Medien berichteten und zweifeln am Urteil. Es gibt den getöteten Daniel H. als Opfer der Messerattacke und nun auch noch den gerade Verprangerten Alaa S. Mit diesem Urteil steht aber auch der Rechtsstaat am Pranger, der das nächste Opfer dieses Strafprozesses ist.

Der Versuch zum falschen Rechtsfrieden mit untauglichen Mitteln

Schon meine Kenntnis der Akltenlage zum Zeitpunkt der Anklageerhebung vor Beginn des Gerichtsverfahrens zeigte aus meiner Sicht auf, dass eine Tatbeteiligung des Alaa S. auszuschließen war. Die nach Anklageerhebung hinzugekommenen Beweismittel (DNA-Auswertung, Faserspuren an der Bekleidung, Fingerabdrücke usw.) konnten Alaa S. nicht belasten, nichts wurde gefunden.  Soweit hier bekannt wurde hat sich an der eigentlich toten Beweislage in der gerichtlichen Beweisaufnahme nichts geändert. Der Beweismurks um den "Belastungszeugen" A. N. trat dann bei der örtlichen Tatortbesichtigung des Gerichts nächtlich zu Tage. Soweit hier bekannt ist soll überhaupt nicht geprüft worden sein, was der Zeuge aus einer Entfernung von 50 m objektiv gesehen haben kann. Wäre der Fragestellung nachgegangen worden hätte sich zwingend ergeben, dass eine Täteridentifizierung unter den konkreten Bedingungen ausgeschlossen war. Aber gerade dieser Zeuge ist nun der Strohhalm, an den sich das Gericht versucht zu klammern. Um verurteilen zu können? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ja. Und so meine ich ein Schuldspruch musste her, komme da was will.

Warum der Rechtsstaat an den Pranger kommt?

In den letzten Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass der Rechtsstaat an den Pranger kommt. Manche Gerichte spielen auf dieser Klaviatur in Tönen, die uns alle aufschrecken lassen sollten. Chemnitz llieferte mit dem Urteil ein Klaviersolo im trendigen deutschlandweiten Gerichtsorchester. Es liegt dem aus meiner Sicht ein Motivbündel zu Grunde: die Volksseele beruhigen statt Recht zu sprechen. Die Beeinflussung der Gerichte durch die Politik, wie etwa durch die Oberbürgermeisterin von Chemnitz, die öffentlich ihre Sorge um die Stadt im Falle eines Freispruchs kundtat. Die Sorge, die AfD könnte in einer Woche die Sächsischern Landtagswahlen noch höher für sich gewinnen. Ein fehlendes Rückrat von Richtern, losgelöst von äußeren Einflüssen, unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet zu urteilen.

Schwache Urteile kommen an den Pranger des BGH

Die Chemnitzer Urteilsbegründung wird objektiv schwach ausfallen. Das genau ist der Einstieg in eine hoffentlich gute Revisionsbegründung der Verteidigung. Und liegt die vor wird der Bundesgerichtshof das Urteil an den Pranger stellen und es zur Strecke bringen. Das ist dann der einzig richtige und zulässige Pranger. Waidmannsheil!


Staatsanwalt und Richter weiter unter Straftatverdacht

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Ein Chemnitzer Staatsanwalt und Richter stehen nach wie vor unter dem Verdacht der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung. Ihnen wird vorgeworfen, ohne jeden rechtlichen Grund willkürlich zwei Haftbefehle beantragt bzw. erlassen zu haben. Es geht dabei um die Messerattacke in Chemnitz im Sommer 2018. Der völlig haltlose Haftbefehl gegen meinen Mandanten Yousif A. musste auf Antrag der Verteidigung dann auch aufgehoben werden. Im Januar 2019 musste die Staatsanwaltschaft Chemnitz auch das Ermittlungsverfahren einstellen, weil es keinen Tatverdacht gab.

Strafanzeige gegen Staatsanwalt und Richter

Nach seiner Haftentlassung hatte mein Mandant Yousif A. im März 2019 gegen den Staatsanwalt und Richter Strafanzeige erstatten lassen.

Staatsanwaltschaft Dresden lehnte Ermittlungen ab

Die Staatsanwaltschaft Dresden lehnte es jedoch ab, auf Grund der Strafanzeige ein förmliches Ermittlungsverfahren einzuleiten. Zur Begründung wurden fadenscheinige Argumente benannt. Diese Argumente sollten offenkundig die Tatsache verdunkeln, dass zum Zeitpunkt des Erlasses der Haftbefehle keine Beweise für eine Tatbeteiligung vorlagen. Die im Haftbefehl benannten Beweise, die zur Tatbeteiligung herangezogen wurden, belegten eben genau das Gegenteil.

Beschwerde gegen die Entscheidung der Dresdner Staatsanwaltschaft

Mein Mandant ließ nicht locker und ließ beim Generalstaatsanwalt Sachsen Beschwerde einlegen. Die lehnte es ab, Ermittlungen anzuordnen. Die Begründung dafür war mit einem Satz schlicht und ergreifend kurz: die tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen im Bescheid der Staatsanwaltschaft Dresden träfen zu. Die Argumentation der Verteidigung, warum die Argumentation eben gerade nicht zutrifft, wurde mit keinem Wort erwähnt. Zufall? Wohl kaum.

Klageerzwingungsverfahren - Antrag auf gerichtliche Entscheidung

Nunmehr hat mein Mandant die Bescheide der Staatsanwaltschaft mit einem weiteren Rechtsmittel angreifen lassen. Dem Oberlandesgericht Dresden liegt nun der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor, im Gestz als  "Klageerzwingungsverfahren" bezeichnet. Damit kann erreicht werden, dass die öffentliche Klage (Anklage) gegen den Staatsanwalt und Richter erhoben wird.

Ein Nachgeschmack nach Sachsensumpf

Es kann nicht verwundern, dass der Eindruck entstanden ist, bei der Staatsanwaltschaft hackt keine Krähe der anderen ein Auge aus. Die Argumente, wonach sehr wohl ein Tatverdacht der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung gegen Staatsanwalt und Richter vorliegen, wiegen zu schwer, als dass der Eindruck ungerechtfertigt erscheinen könnte.

 

 


Zeuge Yousif A. fordert faire Bedingungen für Aussage

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Weiter Auswechslung des Staatsanwalts gefordert

Der Zeuge Yousif A. hat heute in dem Strafprozess wegen der Chemnitzer Messerattacke seine Zeugenaussage unter die Bedingung gestellt, dass der bisherige Staatsanwalt B. ausgewechselt wird und nicht an seiner Vernehmung teilnimmt. Die Forderung hatte Yousif A. schon bei dem ersten Versuch des Landgerichts, ihn als Zeugen zu hören, über eine von seinem Zeugenbeistand verlesene persönliche Erklärung erhoben.

Hintergrund für die Forderung war, dass Staatsanwalt B. gegen ihn ohne rechtliche Grundlage einen Haftbefehl herbeigeführt hatte. Er verdächtigte ihn willkürlich der Beteiligung an der Tötung des Daniel H.. Erst nach über drei Wochen wurde auf Druck der Verteidigung der Haftbefehl aufgehoben. Der Zeuge fühlt sich daher in seinem Aussageverhalten beeinträchtigt.  Hinzu kam, dass er u.a. gegen den Staatsanwalt B. Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung erstatten ließ und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Das war die Ausgangslage vor vier Wochen, die sich für den Zeugen inzwischen verschärft hat.

Zeuge zweifelt am Willen der Staatsanwaltschaft zur Strafverfolgung

Inzwischen wurde das Ermittlungsverfahren gegen Staatsanwalt B. von Oberstaatsanwalt Jürgen S. eingestellt. Aus Sicht des Zeugen völlig zu Unrecht, weshalb er nun in Beschwerde gegangen ist. Gerade auch wegen der fantasiereichen Einstellungsbegründung wirft nicht nur der Zeuge die Frage auf, ob sich die Sächsische Justiz schützend vor einen vermeintlich straffällig gewordenen Staatsanwalt stellt und deshalb das Ermittlungsverfahren einstellte. In seiner Zeugenerklärung ließ Yousif A. über seinen Zeugenbeistand heute vortragen:

"Zum Schluss erkläre ich, dass ich die Strafakte sehr gut kenne. Ich habe mich intensiv damit beschäftigt, was auch im Hinblick auf die Vorwürfe gegen mich für jedermann leicht verständlich ist. Ich bin kein Jurist. Auch ohne juristische Vorbildung konnte ich unschwer erkennen, dass sich der hier anwesende Sitzungsvertreter mir gegenüber und wohl auch gegenüber Alaa Sheikhi strafbar gemacht haben dürfte. Bisher bin ich auch davon ausgegangen, dass eine Staatsanwaltschaft Straftaten verfolgt. Hier aber scheint die Strafverfolgung vereitelt zu werden. Deshalb habe ich meinen Rechtsanwalt beauftragt eine Strafanzeige gegen Oberstaatsanwalt S. von der Staatsanwaltschaft Dresden wegen versuchter Strafvereitelung im Amt zu prüfen.

Ich bin zu einer Aussage unter Verzicht auf mein Auskunftsverweigerungsrecht grundsätzlich bereit. Ich bitte das Gericht inständig, die erforderlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Aus den vorgetragenen Gründen liegen sie bisher nicht vor."

Nach Verlesung der Zeugenerklärung gab die vorsitzende Richterin bekannt, sich nochmals um die Auswechslung bemühen zu wollen.


Verdacht der Rechtsbeugung durch Chemnitzer Staatsanwalt besteht fort

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Beschwerde gegen  Einstellung der Ermittlungen

Der Verdacht der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung gegen einen Chemnitzer Staatsanwalt besteht fort. Die Ermittlungen waren eingestellt worden. Nun lässt mein Mandant beim Generalstaatsanwalt Dresden Beschwerde einlegen. Der Staatsanwalt steht weiter im Verdacht, ohne jeden rechtlichen Grund willkürlich zwei Haftbefehle beantragt und erwirkt zu haben. Es geht dabei um die Messerattacke in Chemnitz im Sommer 2018.Der völlig haltlose Haftbefehl gegen meinen Mandanten Yousif A. musste auf Antrag der Verteidigung dann auch aufgehoben werden. Im Januar 2019 musste die Staatsanwaltschaft Chemnitz auch das Ermittlungsverfahren einstellen, weil es keinen Tatverdacht gab.

Strafanzeige wegen Verdacht der Rechtsbeugung

Mit der Aufhebung des Haftbefehls und der Wiedererlangung seiner Freiheit gab sich Yousif A. nicht zufrieden und ließ über mich Strafanzeige gegen den Staatsanwalt und Richter erstatten. Der konkrete Vorwurf: Verdacht der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung durch Herbeiführung eines rechtswidrigen Haftbefehls und widerrechliche Anordnung der  Untersuchungshaft.

Deckt Staatsanwaltschaft vermeintliche Täter aus den eigenen Reihen?

Die Ermittlungen wollte die Staatsanwaltschaft Dresden sehr schnell im Sande verlaufen lassen. Mit Bescheid vom 08. Mai 2019 erfolgte die Einstellung der Ermittlungen, weil kein Straftatverdacht vorläge. Die im Bescheid enthaltene Begründung liest sich allerdings grotesk. Der Bescheid scheint von einer unübersehbaren finalen Subsumtion befallen zu sein.

Was bedeutet finale Subsumtion?

Zur Erklärung: Die klassische juristische Subsmtion ist notwendiges "Tagesgeschäft" eines jeden Juristen: dabei wird ergebnisoffen geprüft, ob ein ermittelter Sachverhalt, also das Verhalten einer Person, die Tatbestandsmerkmale einer Strafrechtsnorm erfüllt. Die Kernfrage dabei ist, ob das festgestellte Verhalten eine Straftat darstellt oder nicht. Was natürlich nicht in die Juristerei gehören sollte, ist die finale Subsumtion. Dabei setzt sich der Jurist das Ziel,  dass ein bestimmtes Verhalten einer Person keine Straftat darstellt, um so zielorientiert ein Strafverfahren einstellen zu können. In diesen Fällen ist es dann aber auch erforderlich, den "ermittelten Sachverhalt" bewusst so umzudeuten, damit genau dieses Ziel erreicht werden kann. Genau diesen Eindruck der finalen Subsumtion vermittelt die Begründung des Bescheids, mit dem Oberstaatsanwalt Jürgen S. die Ermittlungen gegen den Staatsanwalt und Richter wegen dem Verdacht der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung vom Tisch zu wischen versucht.

Der Anschein der finalen Subsumtion in dem Bescheid ergibt sich daraus, dass er den ermittelten Sachverhalt unzutreffend sowie lückenhaft erfasst und gleichzeitig die für die Anträge und Erlasse der Haftbefehle angeführten Beweismittel alternativ a) nicht den Tatsachen entsprechend, b) unter Unterdrückung von Tatsachen, c) unter Nichtberücksichtigung von entlastenden Umständen und Beweismitteln und d) unter Heranziehung irrelevanter Beweismittel gewürdigt hat. Folglich krankt der Bescheid an einer rechtsfehlerhaften Verneinung der Tatbestände der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung.

Und genau über diesen Weg scheint die Staatsanwaltschaft zielorientiert nach dem Motto "das nicht sein kann, was nicht sein darf" den Tatverdacht gegen den Staatsanwalt und Richter im Ergebnis verneinen zu können.  Völlig absurd schließt der Bescheid sinngemäß mit der Behauptung, dass eine "Gesamtschau" aller Beweismittel zum Zeitpunkt der Erlasse der Haftbefehle einen dringenden Tatverdacht gegen Yousif A. und Allaa S. begründet hätte und folglich keine Rechtsbeugung vorliegen könne. Das Problem an der Geschichte: die Gesamtschau ergibt, dass es zu diesem Zeitpunkt kein  einziges Beweismittel für eine Tatbeteiligung gegeben hat.

Es stellt sich also die Frage, ob die Staatsanwaltschaft vermeintliche Straftäter aus den eigenen Reihen schützt, statt die Straftaten zu verfolgen.

Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen

Mein Mandant lässt deshalb beim Generalstaatsanwalt Dresden Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen einlegen. Dem Verdacht der Rechtsbeugung ist weiter nachzugehen. Desweiteren wird derzeit eine Strafanzeige gegen Oberstaatsanwalt Jürgen S.  von der Staatsanwaltschaft Dresden wegen des Verdachts der versuchten Strafvereitelung im Amt geprüft.


Zeuge fordert Auswechslung des Staatsanwalts während Vernehmung

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Zeuge hat Angst vor Staatsanwalt

In dem Strafprozess gegen Alaa S. wegen der Chemnitzer Messerattacke ist Yousif A. am 26. April 2019 als Zeuge vor das Gericht geladen. Er beabsichtigt gegebenfalls auszusagen, wenn es während seiner Vernehmung zur Auswechslung des Staatsanwalts Stephan B. kommt. In einer Erklärung hat er heute über mich als seinen beigeordneten Zeugenbeistand eine entsprechende Erklärung verlesen lassen, in der er das unter dieser Voraussetzung stehende Aussageverhalten dem Gericht darlegte.

Hintergrund für die Forderung des Zeugen

Der heutige Zeuge war ursprünglich Beschuldigter. Ihm wurde vorgeworfen, Daniel H. gemeinsam mit dem jetzt angeklagten Alaa S. getötet zu haben. Der Chemnitzer Staatsanwalt Stephan B. beantragte gegen Yousif A. Haftbefehl, den ein Untersuchungsrichter vermutlich ohne Aktenkenntnis blind und unter Negierung der Unschuldsbeteuerung des ungerechtfertigt Beschuldigten erließ. Es gab objektiv nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung, geschweige denn einen dringenden Tatverdacht. Die im Haftbefehl benannten Beweismittel, die den angeblichen Tatverdacht begründen sollten, begründeten stattdessen das Gegenteil, jedenfalls keine Tatbeteiligung. Es waren Fake-Beweise.

Die Aufhebung des Haftbefehls mangels drindem Tatverdacht

Gut drei Wochen später musste auf Intervention der Strafverteidigung im Haftprüfungstermin der Haftbefehl aufgehoben werden. Yousif A. wurde aus der Haft entlassen. Anfang Januar 2019 kam es dann zur Beantragung der Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Weil auch Monate nach der Tat nicht der geringste Anhaltspunkt für eine Tatbeteiligung bestand, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren antragsgemäß mit Bescheid vom 15. Januar 2019 ein.

Strafanzeige gegen Staatssanwalt Stephan B. und Untersuchungsrichter

Anfang März, also noch vor dem Prozessauftakt gegen Alaa S., ließ Yousif A. gegen Staatsanwalt Stephan B. und den Untersuchungsrichter beim Generalstaatsanwalt Dresden wegen des Verdachts der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung Strafanzeige erstatten. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Zeugenerklärung zur Forderung nach Auswechslung des Staatsanwalts

Der Zeuge hat in seiner Erklärung heute zu seinem Aussageverhalten und zu seiner Furcht vor dem anwesenden Staatsanwalt vortragen folgendes lassen

"Ich fühle mich von dieser Person erheblich eingeschüchtert und verängstigt. Denn diese Person hat mir vor wenigen Monaten erhebliches Unrecht zugefügt. Neues Unrecht kann ich nicht ausschließen, wenn ich mich heute hier zu einer Aussage in Anwesenheit dieser Person entschließe. Deshalb kann ich in Anwesenheit dieser Person nicht frei und ungezwungen meine Aussage tätigen. Deshalb ist es mir schon nicht möglich ohne Weiteres darüber zu entscheiden, ob ich als Zeuge aussagen soll oder von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache.

Aus meiner Sicht ist diese Person mir gegenüber straffällig geworden. Die vermeintliche Straftat ereignete sich in der Zeit, als ich in diesem Verfahren als Mitbeschuldigter geführt und beschuldigt wurde, gemeinsam mit dem heute Angeklagten Alaa S. Daniel H. getötet zu haben. Diese Person hat mir großes Unrecht angetan. Sie hat gegen mich - aus meiner Sicht - völlig grundlos, willkürlich und rechtswidrig einen Haftbefehl beantragt. Ein Untersuchungsrichter erließ aufgrund des Haftbefehlsantrags aus für mich überhaupt nicht nachvollziehbaren Gründen einen Haftbefehl, so dass ich in Untersuchungshaft weggesperrt und meiner Freiheit beraubt wurde. Ich war ohne jeden Grund vom 27. August bis einschließlich 18.09.2018 in einer JVA eingesperrt.

"Bei der Person, die sich heute hier im Sitzungssaal befindet, handelt es sich um Herrn Staatsanwalt B. Wegen dem mir geschehenen Unrecht habe ich gegen ihn und den Untersuchungsrichter, die zusammen gegen mich diesen Haftbefehl herbeiführten, am 06.03.2019 Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung erstattet. Meine Strafanzeige umfasst auch den Erlass des Haftbefehls gegen Alaa S.. Denn ich bin der Meinung, dass auch gegen ihn völlig willkürlich ein Haftbefehl erlassen wurde." ...

"Nach ausführlicher Beratung mit meinem früheren Strafverteidiger und jetzigen Zeugenbeistand, Herrn Rechtsanwalt Ulrich Dost Roxin, könnte ich mich entschlossen, hier vor Gericht auszusagen. Von § 55 StPO werde ich dann also keinen Gebrauch machen. Ich würde alle Fragen des Gerichts, eines Vertreters der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und Nebenklägervertreter und auch der Verteidiger von Alaa S. in Abwesenheit und nach Auswechslung des Staatsanwalts B. beantworten."

Rechtsgründe für Forderung nach Auswechslung des Staatsanwalts

Es wird folgende Rechtsauffassung vertreten:

Ein Staatsanwalt ist an der Teilnahme an einer gerichtlichen Zeugenvernehmung als Sitzungsvertreter gehindert, wenn gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung eingeleitet wurde und dieser Tatverdacht in einem unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang zu dem anhängigen Strafverfahren, dem zu vernehmenden Zeugen und dem Gegenstand der Zeugenvernehmung steht.

Diese hier vertretene Rechtsauffassung und Rechtsproblematik hat nach hiesigem Wissen weder die Literatur noch die Rechtsprechung bisher jemals erörtert bzw. entschieden. Gleichwohl gibt es Rechtsprechung, die zwar eine andere, nachfolgend dargelegte Fallkonstellation betrifft, die aber auf die hier vorliegende Konstellation anzuwenden ist:

So kann nach ständiger Rechtsprechung ein als Zeuge vernommener Sitzungsstaatsanwalt in derselben Hauptverhandlung nicht weiter als Anklagevertreter tätig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14.02.2018 - 4 StR 550/17 - mit einer Vielzahl dort angegebener, gleichlautender Rechtsprechungsquellen). Das ist seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Auch die Literatur ist ganz überwiegend dieser Auffassung.

Diese Rechtsprechung geht zurück auf die Rechtsprechung des Reichsgerichtshofs. In der grundlegenden Entscheidung führt das Reichsgericht aus (RGSt 29,236), dass es namentlich undenkbar sei, dass der als Zeuge vernommene Staatsanwalt unbefangen prüfen könnte, welche Anträge auf Vorhalte oder Gegenüberstellungen zu stellen seien, wenn Widersprüche zwischen den Aussagen der vernommenen Zeugen hervortreten. Außerdem sei er unmöglich in der Lage, in seinen Schlussausführungen in objektiver, unbefangener Weise die Glaubwürdigkeit der Zeugen und das Gewicht ihrer Aussagen zu erörtern, wenn seine eigene Person und seine eigenen Aussagen infrage stünden.

Auswechslung des Staatsanwalts  zur Gewährleistung der Aufgaben

Diese bis heute herrschende Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, die Staatsanwaltschaft an unbefangene und objektive Tätigkeit zu binden. Sie soll - wie so oft gesagt, geschrieben und gehört - die „objektivste Behörde der Welt“ sein. Und das zu Recht. Denn es ist schon zu verhindern, dass es zu Fehlurteilen kommt oder die Staatsanwaltschaft an Fehlurteilen mitwirkt. Der Grundgedanke der Objektivität und Unbefangenheit findet in § 160 Abs. 2 StPO seinen konkreten Niederschlag, wonach die Staatsanwaltschaft und damit jeder Staatsanwalt bei der Tätigkeit zur Berücksichtigung belastender und entlastender Umstände gesetzlich verpflichtet ist.

Ergebnis

Aus dieser ständigen Rechtsprechung leitet sich im Ergebnis ab, dass sie auch auf die hier zu Grunde liegende Fallkonstellation anzuwenden ist. Denn wenn die Objektivität und Unbefangenheit eines Staatsanwalts schon dann verneint wird, wenn er als Zeuge vernommen wurde und ihm deshalb die Sitzungsvertretung im selben Verfahren verwehrt ist, muss das erst recht in Fällen wie diesen hier gelten. Wenn nämlich der Staatsanwalt im selben Verfahren, zum gleichen Gegenstand unter Tatverdacht steht, gegenüber einem Zeugen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung begangen zu haben. Die Auswechslung des Staatsanwalts erscheint unverzichtbar.

Die Auswechselung des Staatsanwalts Stephan B. aus dem Sitzungssaal und dessen Ersetzung ist aus Rechtsgründen nicht erst jetzt, also für die Vernehmung des Zeugen Yousif A., geboten. Er hätte im Hinblick auf das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren überhaupt nicht in dem Strafprozess gegen Alaa S. als Sitzungsvertreter fungieren dürfen.

Der Ablauf der Verhandlung mit meinem Mandanten finden Sie hier.

Zu den Fake-Beweisen des Staatsanwalt, mit denen er einen dringenden Tatverdacht erfand und Haftbefehl beantragte, finden Sie hier nähere Erläuterungen.


Straftatverdacht wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung

Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung Fachanwalt für Strafrecht,
Rechtsanwalt Oliver Marson

Strafanzeige gegen Chemnitzer Staatsanwalt und Richter

Der ehemals Beschuldigte Yousif A. hat am Mittwoch, dem 06. März 2019, beim Generalstaatsanwalt Dresden Strafanzeige gegen zwei Justizbeamte wegen des Verdachts der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung erstatten lassen. Sie richtet sich gegen einen Staatsanwalt des Landgerichts Chemnitz und einen Richter des Amtsgerichts Chemnitz.

Haftbefehle nach "Messerattacke" gegen Daniel H.

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hatte gegen Yousif A. und den Mitbeschuldigten Alaa S. am 27. August 2018 im Zusammenhang mit der Chemnitzer "Messerattacke" gegen Daniel H. den Erlass von Haftbefehlen wegen des Verdachts des Totschlags beantragt. Am gleichen Tag erließ der zuständige Haftrichter beim AG Chemnitz antragsgemäß die Haftbefehle und ordnete die Vollstreckung an. Yousif A. wurde nach 23 Tagen Untersuchungshaft am 18. September 2018 auf Druck der Verteidigung aus der Haft entlassen. Im Januar 2019 wurde nach einer Schutzschrift der Verteidigung das Ermittlungsverfahren gegen Yousif A. durch die Staatsanwaltschaft eingestellt, weil kein Tatverdacht vorlag.

Der konkrete Verdacht der Rechtssbeugung und Freiheitsberaubung

Der Staatsanwalt wird verdächtigt, in Chemnitz am 27.08.2018 als Amtsträger zum Nachteil der Herren Yousif A. und Alaa S. jeweils einen Haftbefehl in dem Ermittlungsverfahren zum AZ "ABC" beantragt und sich dabei mit unbedingtem Vorsatz in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt zu haben, obwohl er erkannte, dass in keinem der beiden Fälle Beweismittel vorlagen, die einen dringenden Tatverdacht begründen konnten.

Der Richter wird verdächtigt, in Chemnitz am 27.08.2018 in seiner Eigenschaft als Haftrichter am Amtsgericht Chemnitz, die von dem Staatsanwalt vorgelegten Haftbefehlsanträge erlassen und sich dabei mit unbedingtem Vorsatz aus sachfremden Erwägungen in schwerwiegender Weise von Recht und Gesetz entfernt zu haben, obwohl er erkannte, dass in keinem der beiden Fälle Beweismittel vorlagen, die einen dringenden Tatverdacht begründen und somit den Erlass und den Vollzug der Haftbefehle rechtfertigen konnten. Beide Beamte sind verdächtig, dabei gemeinschaftlich gehandelt zu haben.

Zugleich werden der Staatsanwalt und der Richter, nach einem gemeinsamen Tatplan gemeinschaftlich handelnd, der Freiheitsberaubung verdächtigt, in dem sie  Yousif A. und Alaa S. ab dem 27.08.2018 rechtswidrig und vorsätzlich in Justizvollzugsanstalten eingesperrt und länger als eine Woche ihrer Freiheit beraubten und dazu unter Beugung des Rechts im Sinne des § 339 StGB den Erlass und den Vollzug der beiden Haftbefehle herbeiführten.

Verbrechen strafbar gemäß §§ 339, 239 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 25, 53 StGB

Grundvoraussetzung für den Erlass von Haftbefehlen lagen nicht vor

Erste Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls ist ein dringender Tatverdacht. Ist der nicht gegeben, darf ein Haftbefehl nicht erlassen werden. Der dringende Tatverdacht setzt eine sich aus Beweismitteln ergebende erhebliche Tatsachendichte voraus, die eine Täterschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit nahe legt.

Der erfundene dringende Tatverdacht

Die von dem Staatsanwalt vorgelegten Haftbefehlsanträge benennen zur Begründung des dringenden Tatverdachts insgesamt sieben Beweismittel. An erster Stelle steht die Aussage eines der beiden Beschuldigten (Alaa S.). Der hatte jedoch schon bei der Polizei und später nochmals im Beisein des Staatsanwalts und Richters die Tat bestritten. Weiter werden zwei Zeugen benannt. Beide Zeugen konnten aber den Tathergang bei ihren Vernehmungen nicht beschreiben und auch nichts zu den möglichen Tätern aussagen. Bei den drei weiteren Beweismitteln handelt es sich um polizeiliche Aktenvermerke, die keinen Bezug zu den möglichen Tätern haben und vielmehr belegen, dass die Ermittlungsbehörden zum Tathergang keine Erkenntnisse über den Tatablauf und die daran beteiligten Personen hatten.

Staatsanwalt und Haftrichter müssen unter diesen Umständen wider besseres Wissen den dringenden Tatverdacht bejaht haben. Dabei gingen beide sogar soweit, dass sie in beiden Haftbefehlen, die eine Tatbeteiligung bestreitenden Einlassungen eines der Beschuldigten, schlichtweg in tatverdachtsbegründende Einlassungen umdeuteten. Dass auch der zweite Beschuldigte jede Tatbeteiligung bestritt, findet in den Haftbefehlen keine Erwähnung.

Als zwei Tage nach Erlass der Haftbefehle ein Zeuge aussagte, Yousif A. sei an der Tat nicht beteiligt gewesen, blieb der Staatsanwalt untätig. Statt die Aufhebung des Haftbefehls zu betreiben ignorierte er die Zeugenaussage als ob sie nicht existiere.

Aus den dargelegten Gesamtumständen ist auszuschließen, dass es sich bei dem Handeln der beiden angezeigten Beamten um eine einfache Unvertretbarkeit, um lediglich fehlerhafte Rechtsanwendung oder um Ermessensfehler handelt, die der Strafbarkeit der Rechtsbeugung entzogen sind. Außerdem handelt es sich bei beiden um im Strafrecht erfahrene Beamte der Justiz. Jeder Jurastudent hätte erkannt, dass kein Haftbefehl zu beantragen und erst recht nicht zu erlassen war. Es stellt sich dann die Frage, warum beide Beamte vermeintlich rechtswidrig handelten.

Politische und damit sachfremde Erwägungen als Motiv

Es ist zu vermuten, dass dem Handeln des Staatsanwalts und des Haftrichters politische und damit sachfremde Erwägungen zu Grunde lagen. So ist es naheliegend anzunehmen, dass die angezeigten Beamten mit den beiden Inhaftierungen einen schnellen Aufklärungserfolg vortäuschen wollten, um die wegen der Tötungshandlung gegen Ausländer aufgebrachte Öffentlichkeit zu beruhigen und nationalistische sowie rechtsextreme Ausschreitungen in Sachsen, insbesondere in Chemnitz, einzudämmen.  Damit sollte vermutlich zugleich einen „Beitrag" geleistet werden, dem Fokus der europaweiten Negativberichterstattung der Medien zu entrinnen.

Rechtsstaatlichkeit bedeutet die Bindung staatlicher Organe an Recht und Gesetz. Im Rechtssataat dürfen Unschuldige nicht verfolgt werden-dieser Grundsatz ist weder politisch noch auf andere Weise zu relativieren, und er gilt auch in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Situation. Richter als Bestandteil der Judikative und Staatsanwälte als Bestandteil der Exekutive haben das Rechtsstaatsprinzip zu wahren. Die Rechtsstaatlichkeit hatte im vorliegenden Fall das Nachsehen. Dagegen ist konsequent vorzugehen, auch um ein Zeichen für die Zukunft zu setzen.

Juristische Erläuterungen 

Sie finden hier Erklärungen, was Juristen unter Rechtsbeugung durch Richter, Staatsanwälte und andere Amtsträger verstehen. Welche Rolle der "dringende Tatverdacht" bei der Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls spielt, ist hier erläutert.

Auswechselung des Staatsanwalts gefordert

Inzwischen gibt es eine beue Entwicklung (April n2019), die sie hier nachlesen können.