Staatsanwaltschaft Chemnitz - Ermittlungen in Sachen Messerattacke eingestellt

Staatsanwaltschaft Chemnitz, Einstellung des Ermittlungsverfahrens, Totschlag, Chemnitz, Ermittlungsverfahren, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht,
Rechtsanwalt Oliver Marson

Ermittlungen gegen Yousif A. eingestellt

Mein Mandant war am 26. August 2018 festgenommen worden. Er wurde von der Staatsanwaltschaft Chemnitz beschuldigt, an der tödlichen Messerattacke gegen Daniel H. beteiligt gewesen zu sein. Innerhalb weniger Stunden fand er sich ohne jeden Tatverdacht und  auf Grund eines rechtswidrigen Haftbefehls in Untersuchungshaft wieder. Der Haftbefehl wurde erst drei Wochen nach seinem Erlass am 18.September 2018 auf Intervention der Verteidigung aufgehoben. Die Haftbefehlsaufhebung erfolgte mangels Tatverdacht.

Einstellungsantrag an die Staatsanwaltschaft Chemnitz

Die Ermittlungen führte die Staatsanwaltschaft Chemnitz auch nach der Haftentlassung gegen meinen Mandanten bis Ende Dezember 2018 weiter. Auch bis dahin ergab sich kein Tatverdacht. Keiner der ca. 150 vom LKA vernommenen Zeugen konnte eine Tatbeteiligung bezeugen. Die Zeugenaussage vom August 2018, wonach Yousif A. nicht an der Tat beteiligt war, blieb unerschüttert. Daher beantragte ich mit meiner Schutzschrift vom 09. Januar 2019 bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz, das Ermittlungsverfahren gem. § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdacht endgültig einzustellen. Mit dem Einstellungsantrag wurde harte Kritik am Vorgehen der Sächsischen Justiz geübt. Die Schutzschrift äußert gegenüber dem zuständigen Staatsanwalt und dem Haftrichter den Verdacht der Begehung von Verbrechen (Rechtsbeugung und (Freiheitsberaubung). Näheres bitte ich der Schutzschrift zu entnehmen.

Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Chemnitz

Mit Einstellungsbescheid vom 15. Januar 2019 stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Yousif A. endlich ein. Zur Begründung meint der Bescheid "überraschend", es bestünde kein Tatverdacht gegen meinen Mandanten. Die lange Begründung des Einstellungsbescheids enthält im Übrigen groteske Ausführungen, aus dem nach meiner Meinung das Bemühen der Erfindung  eines Anfangstatverdachts ersichtlich wird. Offensichtlich sollte eine rechtfertigende Begründung her, warum überhaupt gegen meinen Mandanten ab September 2018  ermittelt wurde.   Deshalb  werde ich mich mit tatsächlichen Details des Vorgehens und möglichen rechtlichen Folgen zeitnahe noch beschäftigen.

Hinweise zur Vorberichterstattung

Sie finden weitere Beiträge zu meiner Verteidigung in Chemnitz.  Hier etwa eine politische Erklärung des Sächsischen Ministerpräsidenten mit dem Versuch, rechtsstaatswiedriges zu rechtskonformen Justizverhaltens zu erklären. Aber auch der Pressespiegel interessiert Sie vielleicht.


Einstellung des Ermittlungsverfahrens im Chemnitzer Totschlagsprozess beantragt

Einstellung des Ermittlungsverfahrens, Totschlag, Chemnitz, Ermittlungsverfahren, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht,
Rechtsanwalt Oliver Marson

Einstellungsantrag der Verteidigung für Yousif A.

Die Verteidigung hat am Dienstag, dem 09. Januar 2019,  die Einstellung des Ermittlungsverfahrensfür gegen Yousif A. bei der Staatsanwaltschaft Chemnitz gefordert.

Sächsisches Justizverhalten vor Einstellungsantrag

Mein Mandant wurde ohne Rechtsgrund am Tag der vermeintlichen Tötungshandlung an Daniel H. im August 2018 auf Betreiben der Sächsischen Justiz rechtswidrig in Untersuchungshaft verbracht. Für das Vorgehen tragen Beamte der Staatsanwaltschaft Chemnitz und der damals zuständige Untersuchungsrichter am Amtsgericht Chemnitz gemeinsam die Verantwortung. Sie sorgten für den Erlass des Haftbefehls, obwohl es keine Beweise einer Tatbeteiligung gab. Und sie negierten wissentlich, dass Y. A. von einem Zeugen glaubhaft entlastet wurde. Bei den im Haftbefehl genannten "Beweisen" handelte es sich um solche, die gerade keine Tatbeteiligung aufwiesen. Der Entlastungszeuge wurde gleich ganz verschwiegen. Ein Fake-Haftbefehl also, der auf Fake-Beweisen beruhte. Ein dringender Tatverdacht als Grundvoraussetzung für einen Haftbefehl lag nicht vor. Ich berichtete bereits damals darüber.

Haftbefehlsaufhebung als Folge des dringenden Tatverdachts

Auf Antrag der Verteidigung wurde dann der Haftbefehls am 18. September 2018 aufgehoben. Das Kartenhaus vom angeblichen dringenden Tatverdacht war eingestürzt. Ich berichtete.

Auch Monate nach Haftbefehlsaufhebung später kein Tatverdacht

Die Staatsanwaltschaft ließ das Landeskriminalamt weiter ermitteln und und viel unternehmen.  Aber ohne jedes Ergebnis. Keiner der ca. 150 vernommenen Zeugen konnte eine Tatbeteiligung belegen. Objektive Beweismittel (DNA, Blutanhaftungen, Fingerabdrücke usw.) förderten nichts Belastendes ans Tageslicht, sondern entlasteten Y.A. von Woche zu Woche mehr.

Einstellung des Ermittlungsverfahrens mangels Tatverdacht beantrgt

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz teilte am Dienstag über die Pressestelle mit, das Ermittlungsverfahren sei abgeschlossen und es sei Anklage gegen den Mitbeschuldigten A. S. erhoben worden. Die Behörde teilte aber nicht mitteilte, idass Y.A. nicht angeklagt wurde. Ein Einstellungsbescheid liegt jedoch auch nicht vor.

Mit dem heute gestellten Antrag auf Einstellung des Ermittlungsverfahrens wurde sach- und rechtsfolgerichtig die unverzügliche Beendigung der Ermittlungen gegen Y.A. gefordert gefordert. Zur Begründung wurde auf den fehlenden Tatverdacht verwiesen. Ein Ermittlungsverfahren ist einzustellen, wenn gegen ihn gem.  § 170 Abs 2 StPO kein Tatverdacht vorliegt So ist es hier seit August 2018.


Nach Sprungrevision Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht, Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs
Rechtsanwalt Oliver Marson

Freispruch nach 4 Jahren Verfahrensdauer

Nach fast vier Jahren Prozessdauer über drei Instanzen kam heute, dem 07. Dezember 2018, für meinen Mandanten der Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs durch das Amtsgericht Oranienburg (Brandenburg).

Meinem Mandanten wurde mit der Anklage der Staatsanwaltschaft Neuruppin sexueller Missbrauch von Kindern in mehreren Fällen vorgeworfen (§176 StGB). Teilweise in der Alternative des schweren Falles. Prozessauftakt war der 02. März 2016 am Amtsgericht Oranienburg. Mehrere damals ca. zehnjährige Kinder berichteten im Rahmen ihrer Zeugenvernehmungen von sexuellen Übergriffen. Mein Mandant bestritt die Tatvorwürfe vehement. Und tatsächlich war schon damals nach meiner Einschätzung die Beweislage schwierig. Schon in der Presseerklärung zum Prozessauftakt wies ich darauf hin, dass sich alles auf die immer wieder komplizierte Glaubhaftigkeitsprüfung fokussieren würde. Außenstehende Zeugen solcher Übergriffe oder etwa objektive Beweismittel waren nicht existent. Ein Glaubhaftigkeitsgutachten wurde von der Staatsanwaltschaft im Vorfeld der Gerichtsverhandlung nicht eingeholt. Auch das Amtsgericht wies im Prozess den Antrag des Strafverteidigers auf die Einholung eines Gutachtens zurück. Der Verurteilungswille des Schöffengerichts war deutlich spürbar und übermächtigt. Ein Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs blieb mit diesem Gericht Illusion. Der Mandant kassierte eine Freiheitsstrafe von drei Jahren. Er verlor seinen Arbeitsplatz, da die Regenbogenpresse gegen ihn öffentlich Stimmung machte. Er erhielt Morddrohungen und wurde auf offener Strasse zusammengeschlagen.

Vorbereitung des späteren Freispruchs vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs

Die Vorbereitung für ein erfolgreiches Rechtsmittel lief bereits in der Hauptverhandlung über entsprechende Beweisanträge an. Später hob das OLG Brandenburg auf die Sprungrevision meines Mandanten das Urteil auf und verwies die Sache an eine andere Strafkammer des AG Oranienburg zurück. Das OLG verwies in der Beschlussbegründung auch darauf, dass wohl dem Antrag der Verteidigung auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens zu entsprechen sei. Das darauf eingeholte Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass keine der Behauptungen der vier kindlichen Zeugenaussagen zu angeblichen sexuellen Übergriffen erlebnisfundiert war. Die Unwahrhypothese konnte nicht widerlegt werden. Somit waren die optimalen Voraussetzungen für einen Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von der Verteidigung erkämpft worden.

Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs kam wie er kommen musste

Der Freispruch war überfällig. Er kam wie er kommen musste. Die polizeilichen Ermittlungen waren von seltenem Dilletantismus gekennzeichnet. Die Polizei als Hilfsorgan der Staatsanwaltschaft sah sich allein gelassen. Es gab keine Ermittlungsanweisungen der Staatsanwaltschaft, die den Dilletantismus hätte unterbinden können. Auf Videoaufzeichnungen der kindlichen Zeugenaussagen verzichtete die Polizei. Eine Zeugin wurde sogar in einer Kneipe "vernommen". Die Staastsanwaltschaft patzte weiter, indem sie nicht einmal darüber nachdachte, vor Anklageerhebung ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen.

Nicht wirklich Gerechtigkeit durch Freispruch vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs

Nun hat der Mandant nach Jahren Gerechtigkeit erfahren und wurde freigesprochen. Aber ist ihm Gerechtigkeit wirklich ausreichend zuteil geworden? Den Job verlor er. Als Folge der verurteilenden Berichterstattung einer wildgewordenen Regenbogenpresse, die ihn an den Pranger stellte, obwohl er nicht rechtskräftig verurteilt war. Sein Arbeitgeber sprach  in Folge der Berichterstattung eine "Verdachtskündigung" aus. Und die Regenbogenpresse wirkte mit den Eltern der angeblich missbrauchten Kinder zusammen, die gemeinsam öffentlich Druck machten. Nun hat der freigesprochene Mandant seit Jahren Harz IV. Keiner will ihn haben, trotz seiner Facharbeiterqualifizierung und Facharbeitermangel. Ob sich da was ändert nach dem Freispruch heute? Die Medien waren jedenfalls nicht zur Urteilsverkündung da.


Messerattacke vom 26.08.2018 - OLG Dresden bestätigt Rechtswidrigkeit des Haftbefehls des Amtsgerichts Chemnitz

Rechtsanwalt, Strafverteidiger, Strafrecht, OLG Dresden, Totschlag, Messerattacke, Chemnitz
Rechtsanwalt Oliver Marson

Entscheidung des OLG Dresden über Haftbeschwerde des Alaa S.

Am 18. September 2018 hob das Amtsgericht Chemnitz den Haftbefehl gegen den Mitbeschuldigten Yousif A. auf. Mein Kollege Dost-Roxin berichtete darüber. Gleichzeitig wurde der Haftbefehl gegen Alaa S. aufrechterhalten. Inzwischen hat das OLG Dresden die Beschwerde gegen den Haftbefehl abgewiesen. Damit bleibt Alaa S. vorläufig in Untersuchungshaft. Zu der Entscheidung des OLG Dresden ist folgendes festzustellen.

OLG Dresden bestätigt mittelbar die Rechtswidrigkeit des Haftbefehls

Der nunmehr vorliegende Beschluss bestätigt die Annahme der Verteidigung, dass auch der Haftbefehl gegen meinen Mandanten Alaa S. nicht hätte erlassen werden dürfen. Denn die Beweismittel, die der Haftbefehl vom 27. August 2018 ursprünglich zur Begründung des dringenden Tatverdachts herangezogen hatte, zieht das OLG Dresden nunmehr explizit nicht mehr heran. Soweit nun eine Aussage eines Zeugen zur Begründung des dringenden Tatverdachts herangezogen wird, ist dieses Beweismittel dazu aus Sicht der Verteidigung unbrauchbar.

Trotz unfangreicher Ermittlungen der Kriminalpolizei Chemnitz liegt das Vorgeschehen der Tötungshandlung, das Motiv, der Tatablauf und die personelle Tatbeteiligung weiterhin völlig im Dunkeln. Auch die Spurenauswertung lässt einen konkreten Tatverdacht nicht zu. Insbesondere liegen keine Spuren vor, die eine Tatbeteiligung meines Mandanten objektiv belegen. Auszuschließen ist lediglich, dass es für die Tat sexuelle, politische bzw. rassistische Motive gegeben hat.

Prüfung der Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde

Zwar wurde die Aufhebung des Haftbefehls nun auch durch das höchste Gericht Sachsens abgelehnt. Die Entscheidungen vom Amtsgericht über das Landgericht Chemnitz bis zum OLG verletzen aus meiner Sicht das grundgesetzlich gesicherte Freiheitsrecht meines Mandanten. Die Verletzung des Freiheitsrechts zieht sich somit durch die gesamte sächsische Strafjustiz. Die Begründung des OLG kann unter grundgesetzlichen Gesichtspunkten nicht überzeugen. Die Begründung entspricht schon nicht den Anforderungen an die Prüfung des dringenden Tatverdachts, wie sie vom Bundesverfassungsgericht gefordert wird.

Deshalb prüfe ich derzeit die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde und eines Eilantrags mit dem Ziel der Haftbefehlsaufhebung.

Beitrag von  Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht Oliver Marson.

 

Fernsehbericht des MDR (Sachsenspiegel, 14.11.2018) mit einem Statement von RA Oliver Marson:

Fernsehbericht des MDR (Sachsenspiegel vom 14.11.2018) mit einem Statement von RA Oliver Marson
Fernsehbericht des MDR (Sachsenspiegel vom 14.11.2018) mit einem Statement von RA Oliver Marson

Messerattacke in Chemnitz - Sachsens Ministerpräsident erklärt rechtswidrigen zu rechtskonformen Haftbefehl

Rechtsanwalt für Strafrecht, Totschlag, Chemnitz, Daniel H., Untersuchungshaft, dringender Tatverdacht, Haftbefehl, Ministerpräsident
Rechtsanwalt Oliver Marson

Sachsens Regierungschef und sein Verständnis vom Rechtsstaat

Der Ministerpräsident scheint derzeit bemüht zu sein, im Fall meines Mandanten Yousif A. rechtsstaatswidriges Handeln in rechtskonformes umzuinterpretieren. So ließ Ministerpräsident Kretschmer zu der Haftbefehlsaufhebung über Twitter erklären:

"Ein unabhängiges Gericht ordnet gegen einen Tatverdächtigen Untersuchungshaft an. Wenn sich die Beweise nicht erhärten lassen, wird ein Haftbefehl wieder aufgeoben. So funktioniert Rechsstaat!"

Gegenerklärung - wie ein Rechtsstaat bei Prüfung eines Haftbefehls wirklich funktioniert

Tatsächlich funktioniert der Rechtsstaat nur dann, wenn ein Gericht bei Fehlen eines dringenden Tatverdachts den Erlass eines Haftbefehls gar nicht erst erlässt, und so nicht erst in die Situation kommt, einen rechtswidrig erlassenen Haftbefehl unter Druck der Strafverteidigung aufheben zu müssen. Hätte "Rechtsstaat funktioniert", so wäre durch die Staatsanwaltschaft kein Haftbefehlsantrag gestellt und vom Gericht keine Untersuchungshaft angeordnet worden. Nur so hätte Rechtsstaat im Falle meines Mandanten funktioniert! Das verschweigt die Erklärung des Ministerpräsidenten. Das Verschweigen soll offensichtlich ein rechtsstaatliches Vorgehen im Falle meines Mandanten suggerieren und rechtswidriges Handeln der Staatsanwaltschaft und des Gerichts in rechtskonformes Handeln uminterpretieren.

Informationspolitik der Staatsanwaltschaft von Weglassungen geprägt

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz versucht in der Öffentlichkeit durch Weglassungen den Eindruck zu erwecken, der Haftbefehl sei auf ihr Betreiben aufgehoben worden. So heißt es in der Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Chemnitz vom 18. September 2018, der Haftbefehl sei auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufgehoben worden. Das ist unzutreffend. Diese Darstellung verschleiert durch Weglassungen die tatsächlichen Umstände der Haftbefehlsaufhebung. Denn ausschließlich die Verteidigung beantragte schon am 10. September 2018 die Anberaumung eines Haftprüfungstermins und die Aufhebung des Haftbefehls.

Erst im Haftprüfungstermin bei Gericht acht Tage später schob die Staatsanwaltschaft einen gleichlautenden Antrag hinterher. Ohne dem Verteidigerantrag wäre es nicht zum Haftprüfungstermin gekommen und mein Mandant würde noch immer in Untersuchungshaft sitzen. Die Staatsanwaltschaft handelte gleich zwei Mal rechtswidrig: sie stellte ohne die erforderlichen Voraussetzungen gem. § 112 StPO einen Haftbefehlsantrag und unterließ es anschließend, für dessen Aufhebung zu sorgen.

Rechtfertigungsversuche der Staatsanwaltschaft

Wie mir aus Journalistenkreisen berichtet wurde, sollen Vertreter der Staatsanwaltschaft Erklärungen abgegeben haben, es hätte entgegen der Darstellung des Verteidigers zum Zeitpunkt der Beantragung des Haftbefehls einen dringenden Tatverdacht gegeben. Der Verteidiger habe nämlich nur die einzelnen Beweismittel juristisch bewertet. Er habe es aber unterlassen, eine Gesamtschau der einzelnen Beweismittel vorzunehmen, aus denen sich der Tatverdacht ergeben habe.

Sollte es solche Erklärungen gegeben haben, so kann ich meinen Kritikern bestätigen, tatsächlich keine Gesamtschau vorgenommen zu haben. Denn die einzelnen Beweismittel hatten einen "Belastungswert von jeweils 0", die bei einer Summierung im Rahmen einer Gesamtschau auch nicht mehr als 0 erbringen konnten. Die Gesamtschau erübrigte sich also, denn 0+0 ergibt immer 0.

Verhalten der vollziehenden Gewalt gefährdet Recht auf faires Verfahren 

Es ist zu besorgen, dass die Beschuldigtenrechte gem. Artikel 6 Absatz 3 der Menschenrechtskonvention, zu denen neben vielen anderen auch die Unschuldsvermutung gehört, im Falle meines Mandanten auch weiterhin nicht gewahrt werden. Denn das im Zusammenhang mit dem gegen Yousif A. erlassenen Haftbefehl vermeidbare Fehler gemacht wurden, steht für die Verteidigung außer Frage. Auch ist nicht auszuschließen, dass diese Fehler wider besseres Wissen und somit vorsätzlich erfolgten. Und der Ministerpräsident deckelt die Fehler durch seine oben zitierte Erklärung. Unterstütztung erfährt das wiederum durch öffentliche Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft, zu der die Pressekonferenz vom 18. September 2018 gehört.

Und um auch das auszusprechen: Ja, am Ende hat in Sachen Aufhebung des Haftbefehls gegen meinen Mandanten der Rechtsstaat funktioniert – aber nur durch das konsequente Verteidigereintreten – auch unter Morddrohungen – für strafprozessuale Grundsätze.

Weitere Hintergrundinformationen finden Sie auch hier.

 

 


Haftbefehlsaufhebung im Chemnitzer Totschlagsprozess beendet Freiheitsberaubung

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Haftbefehlsaufhebung mangels Tatverdacht

Im Rechtsstaat dürfen Unschuldige nicht verfolgt werden - dieser Grundsatz ist weder politisch noch auf andere Weise zu relativieren, und er gilt auch in einer aufgeheizten gesellschaftlichen Situation. Noch immer geht es um das Tötungsdelikt an Daniel H. in Chemnitz, infolge dessen mein Mandant Yousif A. bis zum heutigen Tag rechtswidrig in Untersuchungshaft festgehalten wurde. Über den Fall berichtete ich bereits. Die heute erfolgte Haftbefehlsaufhebung war überfällig. Seit über drei Wochen musste mein Mandant Yousif A. ohne jeden Tatverdacht in Untersuchungshaft verbringen.

Freiheitsberaubung statt rechtmäßige Untersuchungshaft

Am 26. August 2018 wurde Yousif A. etwa 1 1/2 km vom Tatort entfernt kurze Zeit nach der Tötungshandlung festgenommen. Er bestritt gegenüber der Polizei eine Tatbeteiligung. Als der Staatsanwalt einen Tag nach der Festnahme einen Haftbefehlsantrag fertigte, hatte er gegen Yousif A. nichts in der Hand. Dass er einer der Mittäter gewesen sein könnte, die Daniel H. niederstachen, war ein Phantasiegebilde der Staatsanwaltschaft. Kein Tatzeuge bezichtigte meinen Mandanten der Tatbeteiligung. Zeugen konnten ihn auf Lichtbildern nicht identifizieren. Die Polizei fand ein Messer mit Blutanhaftungen der Opfer. Aber Fingerabdrücke meines Mandanten befanden sich daran nicht. Es gab einfach nichts. Die im Haftbefehlsantrag vom Staatsanwalt benannten Beweise waren Fake-Beweise. Sie enthielten alles mögliche, aber eben nicht die geringsten Hinweise auf eine Mittäterschaft.

Tatverdacht gegen Beamte der Staatsanwaltschaft Chemnitz

Bei dem Vorgehen des Staatsanwalts gegen Yousif A. dessen Haft zu beantragen, stellt sich angesichts der fehlenden Beweismittel nicht die Frage, ob er sich nur täuschte. Hier drängt sich förmlich der Verdacht auf, dass er willentlich meinen Mandanten rechtsbeugend der Freiheit berauben wollte. Die Frage, ob er sich alleine dazu entschloss, kann von hier derzeit noch nicht beantwortet werden. Dass er dazu von dem ihm vorgesetzten Oberstaatsanwalt, Behördenleiter oder von der Sächsischen Generalstaatsanwaltschaft angewiesen wurde, ist jedenfalls eine naheliegende Überlegung und Recherchen wert.

Tatverdacht gegen Richter des Amtsgerichts Chemnitz

Das Amtsgericht Chemnitz erließ den Haftbefehl noch am Tag der Antragstellung und steckte Yousif A. in Untersuchungshaft. Das Handeln des Untersuchungsrichters war zweifellos rechtswidrig. Denn dass die "Beweise" den Charakter von Fake-Beweisen hatten, lag augenscheinlich auf der Hand. Bei der Frage, wie der Richter seine Haftentscheidung traf, kommen alternativ nur zwei naheliegende Varianten in Betracht:

  1. Dem Richter wurden die im Haftbefehlsantrag benannten "Beweise" vorgelegt. Dann aber hat er sie gesehen, auch als Fake-Beweise erkannt und folglich wider besseres Wissen den Haftbefehl erlassen.
  2. Dem Richter wurden die "Beweise" von der Staatsanwaltschaft nicht vorgelegt bzw. vorgelegte „Beweise“ wurden gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Dann aber erließ er den Haftbefehl in blindem Gehorsam gegenüber dem Staatsanwalt ohne eigene Prüfung der Beweismittel und somit unter Verletzung seiner Amtspflichten.

Welche der beiden Alternativvarianten zutrifft kann dahingestellt bleiben. Im Ergebnis läuft auch das auf den Verdacht rechtsbeugenden Verhaltens hinaus, meinen Mandanten der Freiheit berauben zu wollen.

Missachtung von Rechtsstaatsprinzipien im Fall Yousif A.

Das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) wurde missachtet, wonach sich die rechtsprechende und vollziehende Gewalt an Recht und Gesetz zu halten hat, sich aber nicht daran hielt.

Das Grundrecht meines Mandanten auf Freiheit seiner Person (Art. 2 GG) wurde verletzt, indem er eingesperrt wurde.

Die Würde seiner Person gem. Art. 1 GG wurde förmlich mit Füßen getreten, in dem er vom Generalstaatsanwalt, von Regierungsvertretern, wie dem Ministerpräsidenten von Sachsen, öffentlich gegenüber den Medien als "Tatverdächtiger" bezeichnet wurde, obwohl es keinen Tatverdacht gab und gibt. Diese Diktion wurde auch auf der Bundesebene übernommen und im Bundestag verkündet. Den Grundsatz der Unschuldsvermutung wurde von vielen Politikern im Falle meines Mandanten missachtet.

Der Strafregisterauszug meines Mandanten kursierte durch die öffentlichen Debatten, als ob es die Unschuldsvermutung nicht geben würde.

Mindestens ein Mitarbeiter des sächsischen Strafvollzugs verbreitete den Haftbefehl im Internet und steht nun unter dem Verdacht, sich gem. § 353d StGB strafbar gemacht zu haben. Die Justiz in Sachsen ist auch dadurch in ihrer Glaubwürdigkeit erschüttert.

Die Datenschutzbestimmungen wurden verletzt, weil durch die Veröffentlichung des Haftbefehls der Name und die Wohnanschrift meines Mandanten bekannt wurden. Folge dessen war, dass in den "sozialen Medien" Fotos von Yousif A. mit verunglimpfenden Texten versehen und gepostet wurden.

Verfassungsschützer Maaßen maßte sich an, von Mord in Chemnitz zu sprechen und verunglimpfte so auch meinen ohne Tatverdacht im Gefängnis sitzenden Mandanten, ein Verbrecher zu sein.

Das Seehofer-Ministerium in Berlin veröffentlichte in einer Pressemitteilung aus einem laufenden Asylverfahren meines Mandanten Informationen.

Mein Mandant wurde zum Spielball der Politik. Denn die Messerattacke gegen Daniel H. und somit mein Mandant als Asylbewerber mit irakischer Staatsbürgerschaft  wurden auch von den sächsischen Regierungsparteien instrumentalisiert.

Unzureichende Unrechtsbeseitigung durch Haftbefehlsaufhebung

Die gesetzwidrige Anordnung und Vollstreckung der Untersuchungshaft hatte also verheerende Folgen für meinen Mandanten. Durch die Haftbefehlsaufhebung ist das Yousif A. widerfahrene Unrecht nicht gesühnt. Rechtliche Schritte zur Sühne des erlittenen Unrechts, auch gegen verantwortliche Beamte in der Justiz, gegen Regierungsmitglieder in Sachsen und im Bund, werden geprüft.

Weitere Informationen in den Medien und zu den Schutzmaßnahmen

Sie finden weitere Mediennachrichten auch hier. Für meinen Mandanten wurden, wie von mir eingefordert, staatliche Schutzmaßnahmen ergriffen.

Pressekonferenz der Strafverteidigung

Die Hatftbefehlsaufhebung ist entgegen der sachlich falschen Presseerkläung der Staatsanwaltschaft nicht auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft zurückzuführen. Sie erfolgte auf Antrag der Verteidigung. Dem Antrag auf Haftbefehlsaufhebung  schloss sich die Staatsanwaltschaft nur unter Druck des Strafverteidigers an. Meine Pressekonferenz in Chemnitz finden Sie hier.

 


Kein Tatverdacht gegen inhaftierten Iraker im Chemnitzer Totschlagsfall

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Rechtsanwalt Oliver Marson

Presseerklärung zum Tötungsdelikt in Chemnitz

Im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt an Daniel H. in Chemnitz am 26. August 2018 rätseln Ermittlungsbehörden und Medien auch über den Tatverdacht. Über das Motiv, das Tatvor- und das Tatgeschehen sowie die beteiligten Personen besteht Unklarheit.

Als Strafverteidiger des Y. A. sehe ich mich im Hinblick auf die aktuell verbreiteten Nachrichten veranlasst, zu dem Fall eine Erklärung abzugeben.

Antrag und Erlass des Haftbefehls am 27. August 2018

Die Staatsanwaltschaft Chemnitz war dafür zuständig, den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls gegen meinen Mandanten zu beantragen. Die Anordnung oder Ablehnung des Antrags oblag dagegen dem zuständigen Untersuchungsrichter beim Amtsgericht Chemnitz. Der Haftbefehl gegen meinen Mandanten erging am 27. August 2018. Um Untersuchungshaft anordnen zu können, ist zunächst ein dringender Tatverdacht gesetzlich vorgeschrieben. Dieser liegt nur dann vor, wenn sich aus den ermittelten Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit herleiten lässt, dass sich ein Beschuldigter der ihm vorgeworfenen Tat schuldig gemacht hat.

Der Haftbefehlsantrags und die Anordnung der Untersuchungshaft waren rechtswidrig

Nach akribischem Aktenstudium bin ich zu dem Ergebnis gekommen, dass gegen Y. A. seit seiner Festnahme am 26. August 2018 fortwährend bis zum heutigen Tag kein Tatverdacht bestanden hat. Dem Ergebnis meiner Prüfung lege ich keine subjektiven Wertungen zugrunde. Mein juristisches Ergebnis beruht auf den objektiv in den Ermittlungsakten vorliegenden Beweismitteln, die zum  Zeitpunkt der Beantragung des Haftbefehls und seiner Anordnung am 27. August 2018 vorlagen. Schon zu diesem Zeitpunkt gab es eine Vielzahl von Zeugenvernehmungen und andere Beweismittel. Im Haftbefehl werden dieselben zur Begründung des Tatverdachts ausdrücklich benannt. Auch diese Beweismittel habe ich geprüft. Keines der Beweismittel belastet meinen Mandanten, sich an dem vermeintlichen Tötungsdelikt beteiligt zu haben. Ich habe aus den genannten Gründen Grund zu der Annahme, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Amtsgericht Chemnitz wider besseres Wissen und somit vorsätzlich meinen Mandanten seiner Freiheit beraubten und noch berauben.

Auch nach Erlass des Haftbefehls kein Tatverdacht

Auch aus den weiteren, umfangreichen und professionell geführten Ermittlungen des Landeskriminalamtes in Chemnitz hat sich kein Tatverdacht gegen meinen Mandanten ergeben. Vielmehr wird er nun auch durch mindestens eine Zeugenaussage zwei Tage nach Erlass des Haftbefehls entlastet. Auch die Spurenauswertung verlief negativ. Dennoch führte auch das bisher nicht dazu, dass die Staatsanwaltschaft Schritte zur Aufhebung des Haftbefehls einleitete.

Aufhebung des Haftbefehls und Personenschutz beantragt

Ein Fortbestehen der Untersuchungshaft halte ich für rechtswidrig. In Folge dieser Sach- und Rechtslage habe ich bereits am Montag, dem 10. September 2018, Haftprüfungsantrag beim zuständigen Amtsgericht gestellt. Es ist beantragt, den Haftbefehl aufzuheben. Außerdem wurde wegen der prekären Sicherheitslage in Sachsen Personenschutz für meinen Mandanten beantragt.

Prüfung von diversen Rechtsverstößen der sächsischen Justiz

Derzeit prüft die Verteidigung die Verletzung diverser Rechtsstaatsprinzipien zu Lasten meines Mandanten durch die sächsische Justiz. Nach mir vorliegenden Medienberichten soll Sachsens Generalstaatsanwalt Strobl anlässlich einer Presseerklärung vom letzten Montag sinngemäß erklärt haben, man wisse noch nichts. Näheres müsse man noch ermitteln. Dem stimme ich zu. Es stellt sich allerdings die Frage, ob der Generalstaatsanwalt nichts über die seit Wochen anhaltende rechtswidrige Untersuchungshaft meines Mandanten weiß und ob er sie duldet. Strobl soll zudem geäußert haben, mein Mandant schweige zu den Vorwürfen und habe in diesem Zusammenhang auf den Strafverteidiger verwiesen. Das ist nicht zutreffend. Mein Mandant hat in umfangreichen Vernehmungen die Tat bestritten und dezidierte Angaben getätigt.

Medienbeiträge finden sich auch hier und hier. Eigenständige Recherchen der ARD zeigen das gleiche Bild auf.

Ergebnis des Haftprüfungstermins

Zum Ausgang des Haftprüfungstermins finden Sie hier die entsprechenden Informationen.

 

 

 

 


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Rechtsanwalt Oliver Marson

Penis, Hoden und Rechtsfolgenlösung

Im Februar 2018 hatte der BGH wieder ein besonders pikantes Urteil zu fällen. Nach der traurigen Berühmtheit des Kannibalen von Rotenburg, hatte der BGH einen ähnlichen Fall vorliegen. Doch nicht nur der Fall an sich ist Hollywood-reif. Die Juristerei schafft es auch solch einem spannenden Fall mit der Theorie der Rechtsfolgenlösung noch einen drauf zu setzen und auch eine sehr spannende juristische Grundsatzfrage zu diskutieren.

Der Wunsch nach Schlachtung

Der Angeklagte hegte bereits länger den Wunsch an der "realen Schlachtung eines Menschen" teilhaben zu können. Dafür registrierte er sich 2013 auf einer Internetseite, auf der die Nutzer sich über kannibalistische Phantasien austauschen. Nach mehreren Versuchen fand er in der Person St. sein Gegenüber.

Dieser war seit mind. einem Jahr auf der Suche nach einer Person, die ihn "schlachten und verspeisen" würde. Nach dem ersten Kontakt tauschten sich die beiden öfter telefonisch und schriftlich aus und vereinbarten, sich am 04.11.2013 zu treffen. Dazu fuhr St. nach Dresden und beide beschlossen, dass sie St. durch Erhängen im Kellerstudio des Angeklagten töten wollen.

Dies wurde dann auch durchgeführt. Im Keller des Angeklagten, der als SM-Studio ausgestattet war, baute der Angeklagte eine Schlingenkonstruktion mit elektrischer Drahtseilwinde. St. legte sich die Schlinge um den Hals und zog zu. Dann wollte er noch die Hände hinter dem Rücken verbunden bekommen, was der Angeklagte daraufhin tat. Mittels der Seilwinde zog der Angeklagte den St. nach oben. Unklar ist im Weiteren, ob das Opfer durch das Ersticken bereits starb oder der Hirntod erst später durch den vom Angeklagten beigebrachten Kehlschnitt erfolgte.

Anschließend - das weitere Vorgehen filmte der Angeklagte - hängte er St. an den Füßen auf und begann mit der Zerlegung, wobei er besonderes Interesse an den Geschlechtsteilen des St. zeigte.

Warum entscheidet der BGH erst jetzt darüber?

Das erste Urteil wurde vom Landgericht Dresden am 01.04.2015 gefällt. Das Urteil lautete Mord in Tateinheit mit Störung der Totenruhe. Die angedrohte Freiheitsstrafe betrug acht Jahre und sechs Monate. Daraufhin legten sowohl der Angeklagte, als auch die Staatsanwaltschaft Revision ein.

Diese hatte Erfolg. Der BGH entschied am 06.04.2016 - genau ein Jahr später - dass das Urteil aufzuheben ist und verwies die Verhandlung zurück ans Landgericht. Das Landgericht entschied erneut und missachtete eine juristische Wertung des BGH-Urteils, was letztendlich zu einer erneuten Revision und einem zweiten BGH-Urteil führte, das erst jetzt am 21.02.2018 gefällt wurde.

Die dreijährige Streitfrage Rechtsfolgenlösung - Ja oder Nein?

Hauptstreitpunkt war die Frage, ob die Einwilligung des St. zu seiner Tötung im Strafmaß des Urteils gegen den Angeklagten berücksichtigt werden kann.

Grundsätzlich ist das Leben ein Rechtsgut, über das nicht verfügt werden kann. Es steht im Grundgesetz an oberster Stelle. Im Strafrecht wird das daran deutlich, dass in § 216 StGB genau dafür ein Straftatbestand geschaffen wurde. Auch wenn das Opfer jemand anderen ausdrücklich dazu bestimmt, ihn zu töten, wird derjenige, der die Tötung ausführt mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bestraft.

Dieser Straftatbestand wurde aber im vorliegenden Fall verneint, da der Tötungswunsch des St. für den Angeklagten nicht handlungsleitend gewesen wäre. Es sei für ihn zwar notwendige Voraussetzung gewesen, aber nicht das wichtigste Handlungsmotiv. Dieser Tatbestand erfasst also nur Fälle, in denen der Täter niemanden töten wollte, es aber nur tut, weil das Opfer ihn dazu bestimmt.

Um die Einwilligung des Täters aber in die Strafe miteinfließen lassen zu können, hat das Landgericht - 2x - die Rechtsfolgenlösung angewandt. Diese besagt, dass wenn bei Mord eigentlich lebenslange Freiheitsstrafe angedroht ist, ausnahmsweise nach § 49 StGB gemildert werden kann, wenn außergewöhnliche Umstände vorliegen, die das Ausmaß der Schuld verringern.

Die Einwilligung des St. soll als außergewöhnlicher Umstand gelten. Dem hat der BGH - zweimal widersprochen. Die Rechtsfolgenlösung gilt für minder schwere Fälle und soll nur dann bejaht werden, wenn Taten vorliegen, die durch eine "notstandsnahe, auswegslos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweifelung [oder] aus tiefem Mitleid begangen werden".

Solch eine Sondersituation liege hier nicht vor. Der Täter handelte hauptsächlich zur Befriedigung des eigenen Geschlechtstriebs. Wie auch in der juristischen Bewertung des § 216 richtig erkannt, ist die Einwilligung des Täters zwar Voraussetzung, nicht aber Motiv für die Tat. Durch die Erfüllung des Mordmerkmals der Befriedigung des Geschlechtstriebs hat der Täter das Lebens eines anderen Menschen seinem eigenen Geschlechtstrieb untergeordnet. Laut BGH sei daher eine Milderung ausgeschlossen und nur die lebenslange Freiheitsstrafe angemessen.

Das Ende vom Lied

Mit dieser letzten Entscheidung in dieser Sache hat der BGH den Täter zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Übrigens wurden alle Teile des Opfers im Garten verteilt gefunden. Nur der Penis und ein Hoden haben gefehlt.


Richter gurkt gegen Richtervorbehalt

Richtervorbehalt
Rechtsanwalt Ulrich Dost Roxin

Brandenburger Richter verunglückt am Richtervorbehalt

Mit dem Richtervorbehalt nach § 81 a Abs. 2 StPO (a.F.) ist es so eine Sache, jedenfalls wenn man an einem Gericht in Brandenburg zu verhandeln hat.  Nach dem jüngsten Erlebnis am Landgericht Neuruppin sehe ich etwas klarer, warum Rainald Grebe das Lied "Brandenburg" so und nicht anders textete. Ich hielt das bisher immer für fies, bösartig, ja fast rassistisch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern des schönen Bundeslandes mit den vielen Seen, Flüssen, Wäldern und Wölfen. Aber nun denke ich, Grebe hat nur das dortige Leben beschrieben.

Verwertungswiderspruch wegen Verstoß gegen den Richtervorbehalt

Ich hatte die Verteidigung in der Berufungsinstanz wegen einer Trunkenheitsfahrt  im Sommer 2016 übernommen. Aus der Akte ergab sich, dass der Mandant bei einer Verkehrskontrolle nach Alkohol gerochen haben soll. Die Polizisten legten dem Mann Handschellen an und verbrachten ihn auf das Revier einer Kleinstadt. Aus einem Protokoll ergab sich, dass ein POK XYZ  wegen Gefahr im Verzug die Blutentnahme angeordnet haben soll. Ca. 1 1/2 Stunden nach der Festnahme des Mandanten erschien ein Arzt auf dem Revier, der die Blutentnahme durchführte. Der Maßnahme hatte der Mandant widersprochen. Das Gutachten des Rechtsmedizinischen Instituts bescheinigte 1,66 Promille und somit Fahruntüchtigkeit.

Warum Gefahr im Verzug vorgelegen haben soll, dokumentiert die Akte nicht. Auch ist nicht dokumentiert, dass vor Anordnung durch den Polizeibeamten versucht wurde, den Bereitschaftsrichter zu erreichen und die Zustimmung zur Blutentnahme zu erwirken.

Also erhob ich im Wissen, es besser zu wissen und das Recht auf meiner Seite zu haben, Widerspruch gegen die Verwertung des rechtsmedizinischen Gutachtens. Im Brustton der Überzeugung stützte ich mich auf die einschlägige Rechtsprechung der Oberlandesgerichte und insbesondere des Bundesverfassungsgerichts. Oder, um es sinngemäß mit Grewe zu sagen: es gibt Gerichte, die richtig was anfangen können mit dem Richtervorbehalt. Und es gibt Brandenburgische Gerichte.

Neuruppiner Richter gurkte das Ding an den Gesetzesbaum

Der Verwertungswiderspruch wurde abgeschmettert. Brandenburg bzw. Neuruppin habe nachts keinen Bereitschaftsrichter und keinen Bereitschaftsstaatsanwalt hieß es schlicht in der schlichten Begründung. So einfach ist das. Und so vergurkte ein Neuruppiner Richter den gesetzlich normierten Richtervorbehalt und schuf mit den Wölfen heulend den Polizistenvorbehalt.

Revision wegen Verstoß gegen Richtervorbehalt

Das Landgericht Neuruppin liegt viele Flüsse, Seen und Wälder entfernt vom Bundesverfassungsgericht. Vielleicht war das der Grund, warum der Neuruppiner Richter die einschlägigen Entscheidungen für nicht anwendbar hielt: wir seien hier nicht in Amerika und hätten kein Fallrecht, so der Herr Vorsitzende. Das stimmt zwar, nur sitzt das Bundesverfassungsgericht auch nicht im Trump-Land.

Bis zur Reform der StPO 2017 galt uneingeschränkt, dass ein Richter grundsätzlich zu entscheiden hat, ob eine körperliche Untersuchung erfolgen darf oder nicht. Das klarzustellen bleibt der Revisionsinstanz vorbehalten. Es geht weiter zum OLG Brandenburg. Die Revision kann helfen, taube Richterohren hörend zu machen.