Der Pranger im Mittelalter
Vor dem heutigen Blick auf den Rechsstaat am Pranger erfolgt zunächst ein Rückblick in das Mittelalter:
„Auf dem Marktplatz errichtete man […] häufig einen Pranger oder eine Schandsäule, an die ein Verurteilter gebunden wurde und wo er gestäupt (ausgepeitscht) oder mit einer Verstümmelung (Zungenabschneiden) bestraft werden konnte.
Um das Publikum anzulocken, kündigte man die Vollstreckung einer solchen Strafe laut an. Dazu eignete sich auch Musik. An manchen Prangern war eine Glocke angebracht, deren Läuten die Menschen herbeizog, mancherorts wurde auch der endliche Rechtstag oder die Hinrichtung durch die Kirchenglocke eingeläutet. Noch eindringlicher konnte das Interesse durch den Stadttrompeter oder durch die Trommeln werden.“ (Schild, Folter, Pranger, Scheiterhaufen, 2010, S. 52 f.)
„War der ‚Staupenschlag‘, das ‚Stäupen‘ bzw. das mit ‚Ruten Streichen‘ die öffentliche, entehrende, weil durch den Scharfrichter oder einen seiner Knechte vollzogene Züchtigung mit Ruten oder Stöcken. Dabei wurde der Verurteilte auf eine Bank gebunden oder an den Pranger, eine Staupsäule oder einen Strafpfahl gestellt und in der Regel mit 40 Schlägen, eine dem Alten Testament entnommene Zahl, auf den nackten Rücken bestraft. […] In älterer Zeit war das Stäupen häufig mit Haarverlust (Dekalvation) verbunden. Dies bedeutet ursprünglich wohl Skalpierung, später völliges Abscheren der Haare.“ (Ebenda, S. 176.)
Der Pranger der Gegenwart
Heute geht das anders. Wir kennen den „Bevölkerungspranger“, so den in Chemnitz nach der tödlichen Messerattacke im August 2018, als Massen auf die Strassen gingen und deutsche Frauen bemitleideten, die angeblich von bösen Ausländern sexuell angegriffen worden waren. Dann gibt es den „Medienpranger“, dem Kachelmann in einem zum Schauprozess heruntergekommenen Strafprozess ausgesetzt war. Und hinzu kommt der Rechtsstaatpranger, der die Verwirklichung des Ideals vom Rechtsstaat weiter in die Ferne rücken lässt.
Der Rechtsstaat am Pranger der Sächsischen Justiz
Mit dem schuldsprechenden Urteil vom 22. August 2019 wurde Alaa S. zu 9 Jahren und 6 Monaten Freiheitsstrafe verprangert. Medien berichteten und zweifeln am Urteil. Es gibt den getöteten Daniel H. als Opfer der Messerattacke und nun auch noch den gerade Verprangerten Alaa S. Mit diesem Urteil steht aber auch der Rechtsstaat am Pranger, der das nächste Opfer dieses Strafprozesses ist.
Der Versuch zum falschen Rechtsfrieden mit untauglichen Mitteln
Schon meine Kenntnis der Akltenlage zum Zeitpunkt der Anklageerhebung vor Beginn des Gerichtsverfahrens zeigte aus meiner Sicht auf, dass eine Tatbeteiligung des Alaa S. auszuschließen war. Die nach Anklageerhebung hinzugekommenen Beweismittel (DNA-Auswertung, Faserspuren an der Bekleidung, Fingerabdrücke usw.) konnten Alaa S. nicht belasten, nichts wurde gefunden. Soweit hier bekannt wurde hat sich an der eigentlich toten Beweislage in der gerichtlichen Beweisaufnahme nichts geändert. Der Beweismurks um den „Belastungszeugen“ A. N. trat dann bei der örtlichen Tatortbesichtigung des Gerichts nächtlich zu Tage. Soweit hier bekannt ist soll überhaupt nicht geprüft worden sein, was der Zeuge aus einer Entfernung von 50 m objektiv gesehen haben kann. Wäre der Fragestellung nachgegangen worden hätte sich zwingend ergeben, dass eine Täteridentifizierung unter den konkreten Bedingungen ausgeschlossen war. Aber gerade dieser Zeuge ist nun der Strohhalm, an den sich das Gericht versucht zu klammern. Um verurteilen zu können? Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ja. Und so meine ich ein Schuldspruch musste her, komme da was will.
Warum der Rechtsstaat an den Pranger kommt?
In den letzten Jahren ist zunehmend zu beobachten, dass der Rechtsstaat an den Pranger kommt. Manche Gerichte spielen auf dieser Klaviatur in Tönen, die uns alle aufschrecken lassen sollten. Chemnitz llieferte mit dem Urteil ein Klaviersolo im trendigen deutschlandweiten Gerichtsorchester. Es liegt dem aus meiner Sicht ein Motivbündel zu Grunde: die Volksseele beruhigen statt Recht zu sprechen. Die Beeinflussung der Gerichte durch die Politik, wie etwa durch die Oberbürgermeisterin von Chemnitz, die öffentlich ihre Sorge um die Stadt im Falle eines Freispruchs kundtat. Die Sorge, die AfD könnte in einer Woche die Sächsischern Landtagswahlen noch höher für sich gewinnen. Ein fehlendes Rückrat von Richtern, losgelöst von äußeren Einflüssen, unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet zu urteilen.
Schwache Urteile kommen an den Pranger des BGH
Die Chemnitzer Urteilsbegründung wird objektiv schwach ausfallen. Das genau ist der Einstieg in eine hoffentlich gute Revisionsbegründung der Verteidigung. Und liegt die vor wird der Bundesgerichtshof das Urteil an den Pranger stellen und es zur Strecke bringen. Das ist dann der einzig richtige und zulässige Pranger. Waidmannsheil!