Fachanwalt Strafrecht Berlin, uswechselung des Staatsanwalts, Messerattcke, Chemnitz, Prozess
Rechtsanwalt Oliver Marson

Zeuge hat Angst vor Staatsanwalt

In dem Strafprozess gegen Alaa S. wegen der Chemnitzer Messerattacke ist Yousif A. am 26. April 2019 als Zeuge vor das Gericht geladen. Er beabsichtigt gegebenfalls auszusagen, wenn es während seiner Vernehmung zur Auswechslung des Staatsanwalts Stephan B. kommt. In einer Erklärung hat er heute über mich als seinen beigeordneten Zeugenbeistand eine entsprechende Erklärung verlesen lassen, in der er das unter dieser Voraussetzung stehende Aussageverhalten dem Gericht darlegte.

Hintergrund für die Forderung des Zeugen

Der heutige Zeuge war ursprünglich Beschuldigter. Ihm wurde vorgeworfen, Daniel H. gemeinsam mit dem jetzt angeklagten Alaa S. getötet zu haben. Der Chemnitzer Staatsanwalt Stephan B. beantragte gegen Yousif A. Haftbefehl, den ein Untersuchungsrichter vermutlich ohne Aktenkenntnis blind und unter Negierung der Unschuldsbeteuerung des ungerechtfertigt Beschuldigten erließ. Es gab objektiv nicht die geringsten Anhaltspunkte für eine Tatbeteiligung, geschweige denn einen dringenden Tatverdacht. Die im Haftbefehl benannten Beweismittel, die den angeblichen Tatverdacht begründen sollten, begründeten stattdessen das Gegenteil, jedenfalls keine Tatbeteiligung. Es waren Fake-Beweise.

Die Aufhebung des Haftbefehls mangels drindem Tatverdacht

Gut drei Wochen später musste auf Intervention der Strafverteidigung im Haftprüfungstermin der Haftbefehl aufgehoben werden. Yousif A. wurde aus der Haft entlassen. Anfang Januar 2019 kam es dann zur Beantragung der Einstellung des Ermittlungsverfahrens. Weil auch Monate nach der Tat nicht der geringste Anhaltspunkt für eine Tatbeteiligung bestand, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren antragsgemäß mit Bescheid vom 15. Januar 2019 ein.

Strafanzeige gegen Staatssanwalt Stephan B. und Untersuchungsrichter

Anfang März, also noch vor dem Prozessauftakt gegen Alaa S., ließ Yousif A. gegen Staatsanwalt Stephan B. und den Untersuchungsrichter beim Generalstaatsanwalt Dresden wegen des Verdachts der Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung Strafanzeige erstatten. Inzwischen hat die Staatsanwaltschaft Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Zeugenerklärung zur Forderung nach Auswechslung des Staatsanwalts

Der Zeuge hat in seiner Erklärung heute zu seinem Aussageverhalten und zu seiner Furcht vor dem anwesenden Staatsanwalt vortragen folgendes lassen

„Ich fühle mich von dieser Person erheblich eingeschüchtert und verängstigt. Denn diese Person hat mir vor wenigen Monaten erhebliches Unrecht zugefügt. Neues Unrecht kann ich nicht ausschließen, wenn ich mich heute hier zu einer Aussage in Anwesenheit dieser Person entschließe. Deshalb kann ich in Anwesenheit dieser Person nicht frei und ungezwungen meine Aussage tätigen. Deshalb ist es mir schon nicht möglich ohne Weiteres darüber zu entscheiden, ob ich als Zeuge aussagen soll oder von meinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch mache.

Aus meiner Sicht ist diese Person mir gegenüber straffällig geworden. Die vermeintliche Straftat ereignete sich in der Zeit, als ich in diesem Verfahren als Mitbeschuldigter geführt und beschuldigt wurde, gemeinsam mit dem heute Angeklagten Alaa S. Daniel H. getötet zu haben. Diese Person hat mir großes Unrecht angetan. Sie hat gegen mich – aus meiner Sicht – völlig grundlos, willkürlich und rechtswidrig einen Haftbefehl beantragt. Ein Untersuchungsrichter erließ aufgrund des Haftbefehlsantrags aus für mich überhaupt nicht nachvollziehbaren Gründen einen Haftbefehl, so dass ich in Untersuchungshaft weggesperrt und meiner Freiheit beraubt wurde. Ich war ohne jeden Grund vom 27. August bis einschließlich 18.09.2018 in einer JVA eingesperrt.

„Bei der Person, die sich heute hier im Sitzungssaal befindet, handelt es sich um Herrn Staatsanwalt B. Wegen dem mir geschehenen Unrecht habe ich gegen ihn und den Untersuchungsrichter, die zusammen gegen mich diesen Haftbefehl herbeiführten, am 06.03.2019 Strafanzeige wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung erstattet. Meine Strafanzeige umfasst auch den Erlass des Haftbefehls gegen Alaa S.. Denn ich bin der Meinung, dass auch gegen ihn völlig willkürlich ein Haftbefehl erlassen wurde.“ …

„Nach ausführlicher Beratung mit meinem früheren Strafverteidiger und jetzigen Zeugenbeistand, Herrn Rechtsanwalt Ulrich Dost Roxin, könnte ich mich entschlossen, hier vor Gericht auszusagen. Von § 55 StPO werde ich dann also keinen Gebrauch machen. Ich würde alle Fragen des Gerichts, eines Vertreters der Staatsanwaltschaft, der Nebenkläger und Nebenklägervertreter und auch der Verteidiger von Alaa S. in Abwesenheit und nach Auswechslung des Staatsanwalts B. beantworten.“

Rechtsgründe für Forderung nach Auswechslung des Staatsanwalts

Es wird folgende Rechtsauffassung vertreten:

Ein Staatsanwalt ist an der Teilnahme an einer gerichtlichen Zeugenvernehmung als Sitzungsvertreter gehindert, wenn gegen ihn ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung eingeleitet wurde und dieser Tatverdacht in einem unmittelbaren und untrennbaren Zusammenhang zu dem anhängigen Strafverfahren, dem zu vernehmenden Zeugen und dem Gegenstand der Zeugenvernehmung steht.

Diese hier vertretene Rechtsauffassung und Rechtsproblematik hat nach hiesigem Wissen weder die Literatur noch die Rechtsprechung bisher jemals erörtert bzw. entschieden. Gleichwohl gibt es Rechtsprechung, die zwar eine andere, nachfolgend dargelegte Fallkonstellation betrifft, die aber auf die hier vorliegende Konstellation anzuwenden ist:

So kann nach ständiger Rechtsprechung ein als Zeuge vernommener Sitzungsstaatsanwalt in derselben Hauptverhandlung nicht weiter als Anklagevertreter tätig sein (vgl. BGH, Beschluss vom 14.02.2018 – 4 StR 550/17 – mit einer Vielzahl dort angegebener, gleichlautender Rechtsprechungsquellen). Das ist seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Auch die Literatur ist ganz überwiegend dieser Auffassung.

Diese Rechtsprechung geht zurück auf die Rechtsprechung des Reichsgerichtshofs. In der grundlegenden Entscheidung führt das Reichsgericht aus (RGSt 29,236), dass es namentlich undenkbar sei, dass der als Zeuge vernommene Staatsanwalt unbefangen prüfen könnte, welche Anträge auf Vorhalte oder Gegenüberstellungen zu stellen seien, wenn Widersprüche zwischen den Aussagen der vernommenen Zeugen hervortreten. Außerdem sei er unmöglich in der Lage, in seinen Schlussausführungen in objektiver, unbefangener Weise die Glaubwürdigkeit der Zeugen und das Gewicht ihrer Aussagen zu erörtern, wenn seine eigene Person und seine eigenen Aussagen infrage stünden.

Auswechslung des Staatsanwalts  zur Gewährleistung der Aufgaben

Diese bis heute herrschende Rechtsprechung beruht auf dem Grundgedanken, die Staatsanwaltschaft an unbefangene und objektive Tätigkeit zu binden. Sie soll – wie so oft gesagt, geschrieben und gehört – die „objektivste Behörde der Welt“ sein. Und das zu Recht. Denn es ist schon zu verhindern, dass es zu Fehlurteilen kommt oder die Staatsanwaltschaft an Fehlurteilen mitwirkt. Der Grundgedanke der Objektivität und Unbefangenheit findet in § 160 Abs. 2 StPO seinen konkreten Niederschlag, wonach die Staatsanwaltschaft und damit jeder Staatsanwalt bei der Tätigkeit zur Berücksichtigung belastender und entlastender Umstände gesetzlich verpflichtet ist.

Ergebnis

Aus dieser ständigen Rechtsprechung leitet sich im Ergebnis ab, dass sie auch auf die hier zu Grunde liegende Fallkonstellation anzuwenden ist. Denn wenn die Objektivität und Unbefangenheit eines Staatsanwalts schon dann verneint wird, wenn er als Zeuge vernommen wurde und ihm deshalb die Sitzungsvertretung im selben Verfahren verwehrt ist, muss das erst recht in Fällen wie diesen hier gelten. Wenn nämlich der Staatsanwalt im selben Verfahren, zum gleichen Gegenstand unter Tatverdacht steht, gegenüber einem Zeugen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung begangen zu haben. Die Auswechslung des Staatsanwalts erscheint unverzichtbar.

Die Auswechselung des Staatsanwalts Stephan B. aus dem Sitzungssaal und dessen Ersetzung ist aus Rechtsgründen nicht erst jetzt, also für die Vernehmung des Zeugen Yousif A., geboten. Er hätte im Hinblick auf das gegen ihn eingeleitete Ermittlungsverfahren überhaupt nicht in dem Strafprozess gegen Alaa S. als Sitzungsvertreter fungieren dürfen.

Der Ablauf der Verhandlung mit meinem Mandanten finden Sie hier.

Zu den Fake-Beweisen des Staatsanwalt, mit denen er einen dringenden Tatverdacht erfand und Haftbefehl beantragte, finden Sie hier nähere Erläuterungen.