Angriff der NATO gegen Zivilpersonen

Angriff der NATO gegen Zivilpersonen
Rechtsanwalt Oliver Marson

NATO - Schadenersatzansprüche jugoslawischer Zivilopfer gegen Deutschland gescheitert

In den Vormittagsstunden des 30. Mai 1999 beschossen zwei Kampfflugzeuge der NATO eine Brücke in dem serbischen Ort Varvarin (damals Jugoslawien). Der Ort lag außerhalb militärischer Kampfgebiete.  Milosevic kämpfte damals im Kosovo, nicht in Serbien. Auch die Kriegsverbrechen der jugoslawischen Militärs ereigneten sich im Kosovo. Militärische Bedeutung kam der Brücke nicht zu. Sie war für eine Traglast bis 12,5 t ausgelegt. Militär war dort nicht stationiert. Varvarin (4000 Einwohner) liegt etwa 200 km von Belgrad und 200 km von der Grenze zum Kosovo entfernt.

Heimtückischer Raketenbeschuss gegen Zivilbevölkerung

Mehrere tausend Menschen hielten sich zum Zeitpunkt des Beschusses an der Brücke auf. Dort waren wie jeden Sonntag Marktstände aufgebaut. Neben der Brücke befindet sich die Kirche, ein Kirchenfest fand statt. Plötzlich beschossen zwei im Tiefflug angreifende Kampfjets der NATO in zwei kurz hintereinander folgenden Angriffswellen die Brücke. Zunächst wurden zwei Raketen abgefeuert. Die Brücke fiel in den Fluss Morava, Autos und Menschen stürzten hinterher. Als nur wenige Momente später erste Hilfeleistende den Verletzten am Ufer helfen wollten, kamen die Kampfjets zurück. Nochmals wurden zwei Raketen abgeschossen. 11 Tote und über 30 Schwerverletzte hinterließ der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff.

Klagen gegen Deutschland  und Verfassungsbeschwerden scheiterten

Die Hinterbliebenen und Verletzten klagten gegen Deutschland als NATO Mitgliedsstaat auf Schadenersatz und Entschädigung bis zum BGH. Die Anspruchsgrundlage (Verletzung des ZP I zum Genfer Abkommen) scheiterte an der Staatenimmunität. Soweit sich die Kläger auf Staatshaftung beriefen, scheiterten sie an der Beweislast. Deutschland hatte vortragen lassen, von dem Angriff nichts gewusst zu haben. Im übrigen gelte in der NATO der Grundsatz "need to know". Die Kläger konnten zwar nachweisen, dass Flugzeuge Deutschlands an diesem Tage über dem Staatsterritorium Jugoslawiens (Serbien) im Einsatz waren. Dass sie aber selbst den Angriff  vorgenommen oder als Begleitschutz für die angreifenden Kampfjets eingesetzt waren, konnte nicht nachgewiesen werden.

Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschluss vom 13. August 2013 2 BvR 2660/06 und 2 BvR 487/07) ist hier nachzulesen.

Varvarin ist kein Einzelfall

Ich habe diesen "Fall Varvarin" mit einem eigenen Team vor Klageerhebung  am Tatort aufgearbeitet. Daneben habe ich eine Vielzahl weiterer Angriffe der Nato aufgearbeitet. Kennzeichnend für viele untersuchte Angriffe ist , dass die NATO gezielt die Zivilbevölkerung und zivile Objekte außerhalb von Kampfgebieten in Serbien beschossen hat. Die Anzahl der zivilen Opfer ist mir nicht bekannt, Schätzungen gehen von ca. 2500 Toten unter der serbischen Zivilbevölkerung aus. Aber auch Angriffe auf Flüchtlinge im Kosovo sind belegt. So liegt mit ein Fall vor, wo Dorfbewohner aus dem Kosovo mit Pferdefuhrwerken und Traktoren mit ihren Familien und Habseligkeiten über eine Landstrasse flüchteten. Am hellichten Tag wurden sie von Kampfjets der NATO beschossen. Die Opfer verbrannten bei lebendigem Leib auf ihren Fahrzeugen. Die Fotodokumentation befindet sich in meinem Besitz.

Schlusswort

Nicht nur wegen meiner eigenen Erfahrung als Prozessvertreter von Kriegsopfern wende ich mich auch zukünftig gegen jeden Krieg. Natürlich sollte man völkerrechtlich und auf nationaler Ebene endlich Regelungen schaffen, die es Kriegsopfern ermöglicht, Schadenersatzansprüche durchsetzen zu können. Dazu muss die Staatenimmunität weichen. Und hinsichtlich der Staatshaftung muss  zumindestens  teilweise eine Beweislastumkehr her.

Und dennoch bin ich der Überzeugung, dass das für die Zukunft zu kurz greift. Die Staaten müssen sich alle vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln verabschieden.

[nachoben]

 


Vernehmung ohne Tatverdacht - Verletzung der Verteidigungsrechte

Verletzung der Verteidigungsrechte
Rechtsanwalt Oliver Marson

Verteidigung rügt Verletzung der Verteidigungsrechte

Hauptverhandlung wegen Totschlags (Kindstötung) hat in Berlin begonnen

Zum Prozessauftakt  am 02. September 2013 in dem Strafverfahren wegen Kindstötung (Eingangsbericht) vor dem Landgericht Berlin rügte die Verteidigung auch die Verletzung der Verteidigungsrechte der Angeklagten. Es wurde Widerspruch gegen die Beweisverwertung der Beschuldigtenvernehmung erhoben.

Anklagevorwurf  des Totschlags auf belastende Einlassungen in Vernehmung der Angeklagten gestützt

Nach der Anklage der Staatsanwaltschaft soll die damals 23-jährige Studentin im Dezember 2012 ihr Kind unmittelbar nach der Geburt durch Ersticken in der elterlichen Wohnung getötet haben (Neonatizid). Der Anklagevorwurf der Kindstötung beruht ausschließlich auf einer Beschuldigtenvernehmung, in der die Angeklagte die Tat eingeräumt habe.

Verletzung der  Verteidigungsrechte - Vernehmung ohne  Bekanntgabe der Tathandlung

Nach § 136 Abs. 1 StPO ist einem Beschuldigten vor einer Vernehmung bekannt zu geben, welche Tathandlung ihm zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften zur Anwendung kommen. Im Falle der Angeklagten ist das unterblieben, auch wenn in einem nichtssagenden Vordruck der Vernehmung allgemein und floskelhaft festgehalten wurde:

»Mir ist eröffnet worden, welche Tat mir zur Last gelegt wird. Ich bin darauf hingewiesen worden, dass es mir nach dem Gesetz freisteht, mich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor meiner Vernehmung, einen von mir zu wählenden Verteidiger zu befragen. Ich bin darüber belehrt worden, dass ich zu meiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen kann.«

 Kein Tatverdacht zum Zeitpunkt der Vernehmung

Die Vernehmung der Angeklagten fand am Krankenbett der Wöchnerinnenstation eines  Berliner Krankenhauses wenige Stunden nach Geburt des Kindes statt. Aus der Ermittlungsakte ergibt sich, dass zu diesem Zeitpunkt den Ermittlungsbehörden lediglich bekannt war, dass der Säugling lebend geboren wurde und erst anschließend verstarb. Das war das Ergebnis einer Computertomographie. Der Gerichtsmediziner teilte den Ermittlungsbehörden in diesem Zusammenhang mit, dass über die Todesursachen noch keine Aussage getroffen werden könne. Dazu müsse eine am Folgetag vorgesehene Obduktion abgewatet werden.

Wenn aber die Todesursache zum Zeitpunkt der Vernehmung nicht bekannt war, konnte es  schon objektiv auch keinen Tatverdacht gegen die Angeklagte geben. Folglich konnte ihr auch nicht die ihr zur Last gelegte Tathandlung und die anzuwendenden Strafvorschriften bekanntgegeben werden. Das ist der einzige und zwingende Schluss. Jede andere Annahme würde gegen die denkgesetzliche Logik verstoßen.

Widerspruch gegen die Beweisverwertung der Beschuldigtenvernehmung

Das aber führte zu einer massiven Verletzung der Verteidigungsrechte der Angeklagten. Niemand muss Jurist sein um zu verstehen, dass man sich als Angeklagter oder Beschuldigter nur dann gegen einen Straftatvorwurf verteidigen kann, wenn man ihn  zuvor kennt. Auch versetzt erst die Kenntnis des Straftatvorwurfs den Angeklagten oder den Beschuldigten in die Lage darüber selbstbestimmt zu entscheiden, ob er von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen will oder nicht. Auch auf diesen Verfahrensverstoß wurde der Widerspruch gegen die Beweisverwertung der Beschuldigtenvernehmung der Angeklagten gestützt. Grundsätzlich ist der Wille eines Beschuldigten, ob er sich zu einem Tatverdacht äußern will, ohne wenn und aber von den Ermittlungsbehörden zu akzeptieren. Diese Akzeptanz legt den Ermitlungsbehörden auf, ihren Verpflichtungen aus § 136 StPO nachzukommen.

Massiver Verfahrensversoß führt zu Beweisverwertungsverbot

Die Verletzung der Verteidigungsrechte muss nicht zwingend zu einem Beweisverwertungsverbot führen. Das gilt nur dann, wenn eine massive Verletzung der Verteidigungsrechte vorliegt. Das ist hier die Fall. Die Gründe dafür sind hier näher ausgeführt.

 


Kindstötung in Berlin? - Rechtsstaatswidrige Vernehmungsmethoden

Kindstötung Beweisververtungsverbot Beschuldigtenvernehmung Übermüdung § 136a StPO
Rechtsanwalt Oliver Marson

Hauptverhandlung wegen Kindstötung hat begonnen

Am 02. September 2013 hat vor dem Landgericht Berlin die Hauptverhandlung in einem Fall der vermeintlichen Kindstötung  und somit wegen Totschlags begonnen. Die Angeklagte befindet sich nach einem Haftverschonungsbeschluss des Landgerichts auf freiem Fuß.

Die Anklage der Staatsanwaltschaft Berlin mit Vorwurf der Kindstötung

Nach der Anklage der Staatsanwaltschaft soll die damals 23-jährige Studentin im Dezember 2012 ihr Kind unmittelbar nach der Geburt durch Ersticken in der elterlichen Wohnung getötet haben (Neonatizid). Der Anklagevorwurf  der Kindstötung beruht ausschließlich auf einer Beschuldigtenvernehmung, in der die Angeklagte die Tat eingeräumt habe.

Einlasung der Angeklagten zum Vorwurf der Kindstötung

Die Angeklagte hat zu Prozessbeginn eine persönliche Einlassung über ihren Strafverteidiger verlesen lassen. Darin hat sie im Kern dargelegt, dass  sie das Kind an diesem Tag unerwartet und ohne fremde Hilfe zur Welt gebracht habe. Sie schildert auch die schwierigen Umstände der Geburt. Die ihr vorgeworfene Tat hat sie zurückgewiesen.

Umstände der rechtswidrigen Beschuldigtenvernehmung

Die Vernehmung, mit der sich die Angeklagte selbst belastete, fand auf einer Wöchnerinnenstation  eines Krankenhaus statt. Sie begann in den späten Abendstunden wenige Stunden nach der dramatischen Geburt. Zu diesem Zeitpunkt war die Angeklagte fast 38 Stunden ohne Schlaf. Sie war außerdem durch hohen Blutverlust (Anämie) und die kräftezehrende Geburt physisch und psychisch in einem desolaten Zustand. Hinzu kam, dass ihr von den Ärzten unmittelbar vor Beginn der Vernehmung ein Medikament zur Beruhigung und Beförderung des Schlafes verabreicht worden war.

Rechtsstaatswidrige Vernehmung wegen Übermüdung

Ermittlungsbehörden ist es nach § 136a StPO untersagt, Vernehmungen im Zustand der Übermüdung durchzuführen. Die Vorschrift schützt jeden Beschuldigten vor massiver Bedrängung durch Ermittlungsbehörden. Insbesondere soll damit gewährleistet werden, dass die Entschliessungsfreiheit eines Beschuldigten durch Übermüdung nicht beeinträchtigt ist. Denn jeder Beschuldigte hat das Recht, frei zu entscheiden, ob er sich zu einem erhobenen Straftatvorwurf äußern will oder nicht. Diese Fähigkeit  zu einer selbstbestimmten, freien Entscheidung war bei der Angeklagten zum Zeitpunkt der Vernehmung ausgeschlossen, zumindest  aber erheblich beeinträchtigt.

Verteidigung erhebt Widerspruch gegen die Beweisverwertung

Die Anwendung einer rechtsstaatswidrigen Vernehmungsmethode der beschriebenen Art liegt nach der Rechtsprechung bei Schlafentzug ab 30 Stunden vor. Dieser Zeitraum war bei der Angeklagten zu Beginn der Vernehmung mit fast 38 Stunden bereits weit überschritten. Folglich hat die Verteidigung am heutigen ersten Verhandlungstag Widerspruch gegen die Verwertung der Beschuldigtenvernehmung und gegen Vernehmung der Vernehmungsbeamten als Zeugen erhoben. Der Widerspruch ist hier nachzulesen.

Folge eines Beweisverwertungsverbots

Folgt das Gericht dem erhobenen Widerspruch, darf der Inhalt der Vernehmung mit dem vermeintlichen Geständnis der Angeklagten nicht als Beweismittel und somit nicht gegen sie verwendet werden.  Die Gerichtsentscheidung bleibt abzuwarten. Wird die Aussage doch verwendet,  ist der Ausgang des Verfahrens aus anderen Gründen offen. Denn die Ursachen für den Tod des Säuglings stehen aus Sicht der Verteidigung und nach Aktenlage nicht fest.

Ausnutzung des Erschöpfungszustandes zur Erzwingung einer Aussage

Den Ermittlungsbehörden kann der Zustand der Angeklagten zu Beginn der Beschuldigtenvernehmungen nicht verborgen geblieben sein. Deshalb liegt die Vermutung der Verteidigung auch nahe, dass die Vernehmungen unter Ausnutzung des psychisch und physisch desolaten Zustandes der Angeklagten mit dem Ziel der Erzwingung einer belastenden Aussage erfolgt ist.

Massive Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte

In dieser Auffassung wird die Verteidigung auch dadurch bestärkt, dass es zum Zeitpunkt der Vernehmungen keinen Tatverdacht gegen die Angeklagte gab. In diesem Zusammenhang kam es durch die Ermittlungsbehörde zu massiven Beeinträchtigungen der Verteidigungsrechte der Angeklagten (§ 136 StPO). Der zweite Teil des Widerspruchs gegen die Beweisverwertung stützt sich folgerichtig auf die Verletzung der Verteidigungsrechte und ist hier näher ausgeführt.

[nachoben]

 


Deutschland - Schnüffler von Amts wegen

Schnüffler, Strafverteidiger, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Oliver Marson

Die Schnüffler und die Schnüffelgrundlage der StPO

Die Schnüffler sitzen überall. Nicht nur im fernen Amerika, eben auch hier. Wie wir alle wissen und wogegen fast alle nichts unternehmen.  Und § 100j StPO sorgt für ein rechtsstaatliches Spitzeln. Der Kollege Marson meint jedenfalls, wir sollten im eigenen Land Ordnung schaffen. Hier sein Beitrag.


Revision gegen das Urteil - Vergewaltigung mit Todesfolge - Indizienprozess

Revision gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam
Rechtsanwalt Oliver Marson

Revision gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam

Inzwischen hat der Angeklagte Revision gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 30. April 2013 eingelegt.

In dem Indizienprozess wurde der zur Tatzeit im Sommer 2012 25-jährige Angeklagte für schuldig befunden, in den frühen Morgenstunden gegen 05.30 Uhr eine 78-jährige Frau mit Gewalt in ein Gebüsch nahe eines kleinen Landbahnhofs im Land Brandenburg gezerrt und dort vergewaltigt zu haben. Die Frau erlitt daraufhin einen Herzinfarkt und verstarb. Zum Motiv gibt es keine Erkenntnisse. Der Angeklagte räumte ein, nach einer Feier stark alkoholisiert auf dem Heimweg und am Bahnhof gewesen zu sein, stritt aber die Tatbegehung ab. Er gab an, dort eine Person gesehen zu haben, die weglief. Dass  eine weitere Personen außer dem Angeklagten und der Frau im Tatzeitraum am Tatort anwesend gewesen sein könnte und als Täter in Frage komme,  verneinte das Gericht.

Revision gegen das Urteil mit der Sachbeschwerde

Mit einer ausgeführten Sachbeschwerde wandte sich nun der Angeklagte an den Bundesgerichtshof (BGH). Es gibt keine Tatzeugen. Die 78-jährige Frau konnte gegenüber Polizeibeamten vor ihrem Ableben in einem äußerst verwirrten Zustand als Folge des Geschehens zwar Angaben zum Tatgeschehen machen, aber keine Täterbeschreibung abgeben. An der Bekleidung des Angeklagten befanden sich kurz nach seiner Festnahme in der Nähe des Tatorts  Blutanhaftungen der Frau und  ihre DNA-Spuren in seinem Intimbereich.

Mit der Revision wird insbesondere gerügt, dass keine geschlossen Indizienkette vorliegt. Auch wurden aus einzelnen Indizien Schlussfolgerungen gezogen, die objektiv nicht möglich sind. So wurde aus den DNA-Spuren der Frau an der Bekleidung und im Intimbereich des Angeklagten der Schluss gezogen, dass er auch der Täter ist. Das Urteil führt dazu sinngemäß (fast wörtlich) aus, dass die Überzeugung des Gericht von der Täterschaft des Angeklagten auf der DNA-Spurenlage "beruhe".

Aus den festgestellten Spuren ist für sich allein genommen lediglich der Schluss auf einen körperlichen Kontakt möglich. Rechtsirrig zog das Landgericht aus der Spurenlage den Schluss auf die Täterschaft des Angeklgten. Das ist auch deshalb lückenhaft, weil auf eine gerichtsbiologische Begutachtung des Leichnams der Frau zur Frage, ob sich insbesondere in ihrem Intimbereich DNA Spuren des Angeklagten auffinden ließen, aus unbekannten und nicht nachvollziehbaren Gründen verzichtet wurde.

Am Körper des Angeklagten (unter den Fingernägeln) und an der Bekleidung der Frau fanden sich identische DNA-Spuren einer unbekannten dritten Person. Dass diese Spurenübertragung am Tatort von der unbekannten Person erfolgte schloss das Gericht mit der Begründung aus, das DNA-Spuren an jedem Ort durch Kontaktaufnahme leicht übertragbar seien. Mit dieser Begründung setzt sich das Gericht allerdings in offensichtlichen Widerspruch zu seiner Feststellung, wonach sich der Angeklagte und die Frau am Tattag erstmalig begegnet seien. Dann aber kann die DNA-Übertragung der unbekannten Person auch nur am Tatort erfolgt sein. Das Urteil ist insoweit lückenhaft, als ihm Ausführungen fehlen, wonach die unbekannte dritte Person im Vorfeld der Tat mit dem Angeklagten und der Frau  oder mit einem von beiden zusammenkam und es in Folge dessen zur Übertragung von DNA-Material  auf beide oder einen gekommen sein könnte. Dem Urteil ermangelt es auch an Darlegungen, ob die fremden DNA-Spuren entweder auf den Angeklagten oder die Frau an einem anderen als dem Tatort auf einen von beiden übertragen wurde und eine Übertragung dann erst am Tatort auf einen der beiden erfolgt sein könnte. Die unzureichenden Urteilsausführungen lassen so alle Alternativen offen, weshalb  im Ergebnis auch die Täterschaft einer anderen, unbekannten Person nicht auszuschließen ist.

Revision gegen das Urteil rügt fehlende Indizienkette

Mit der Revision gegen das Urteil wird die fehlende, in sich geschlossene Indizienkette gerügt. Insbesondere leidet das Urteil an einer Indizienkette für die Täterschaft des Angeklagten Not. Nach § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO müssen im Falle einer solchen Indizienkette die Indiztatsachen in den Urteilsgründen so dargelegt werden, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob das Tatgericht zu Recht angenommen hat, die von ihm aus den Indiztatsachen gezogenen Schlüsse seien zwingend. Voraussetzung für eine Beweiswürdigung im Rahmen einer Indizienkette ist, dass sämtliche Kettenglieder in einem logischen "wenn-dann-Verhätnis" stehen.

Daran krankt das Urteil nach Überzeugung der Revision. Die Täterschaft des Angeklagten steht nicht fest. Ob die Revision gegen das Urteil Erfolg haben kann, bleibt - wie immer - abzuwarten und ist im Vorfeld  nicht einzuschätzen.

 

 


Zoff der Staatsanwälte um Ermittlungsverfahren wegen Betrug

Ermittlungsverfahren wegen Betrug
Rechtsanwalt Oliver Marson

Transitreise - Ermittlungsverfahren wegen Betrug mit Schrottimmobilien

Es mühten sich zwei Staatsanwaltschaften über drei Jahre gegen die Verantwortlichen mehrerer Vertriebsgesellschaften in einem Ermittlungsverfahren wegen Betrug, um den Verdacht - Verkauf von Schrottimmobilien - beweisrechtlich in Sack und Tüten zu bekommen.

Nein, anderen Inhalts  waren  die Bemühungen: sie bestanden in erster Linie im Streit um die Zuständigkeit. Und so waren die prall gefüllten Umzugskartons mit zuletzt 15.000 Seiten Umfang  auf ständiger Transitreise von einer Behörde zur anderen und das über einen Zeitraum von gut zwei Jahren . Und um so umfangreicher die Akten wurden, um so mehr eskalierte der Streit. Ich habe so meine Zweifel, das die Akte jemals in der Staatsanwaltschaft wirklich einem Aktenstudium unterzogen wurde. Dann hätte man eher darauf kommen können, das nicht jede glanzlose Immobilie eine Schrottimmobilie ist. Aber eines ist sicher: der Zoff der Staatsanwaltschaften machte mit Sicherheit weniger Mühe als ein Aktenstudium gemacht hätte.


Rechte des Beschuldigten - BGH zu Anforderungen an Vernehmung

Rechte des Beschuldigten bei Vernehmung im Ermittlungsverfahren
Rechtsanwalt Oliver Marson

Rechte des Beschuldigten - Konsultationsrecht mit Rechtsanwalt

Der 3. Strafsenat hatte einen Fall zu entscheiden, in dem es um die Wahrung der Rechte des Beschuldigten ging. Dem lag zu Grunde, dass ein Beschuldigter der Ermittlungsrichterin zur Verkündung des Haftbefehls vorgeführt wurde und nach Belehrung über sein Aussageverweigerungsrecht erklärte, nichts zur Sache aussagen zu wollen. Außerdem wünschte er Rechtsanwalt Volker König  zu konsultieren. Die Ermittlungsrichterin  konnte den Verteidiger nicht erreichen und stellte dem Beschuldigten anschließend Fragen, die zwar nicht unmittelbar ihn betrafen, auf die er aber  antwortete und  was dann spontan dazu führte, dass er seine eigene Tatbeteiligung einräumte.

In der Hauptverhandlung legte sein Strafverteidiger unter Hinweis darauf, dass die Angaben des Angeklagten anlässlich der Vernehmung durch die Haftrichterin wegen Belehrungsmängeln unverwertbar seien,  Widerspruch gegen die Vernehmung der Ermittlungsrichterin als auch gegen die Verwertung ihrer Aussage ein. Der Verwertungswiderspruch wurde von der Strafkammer zurückgewiesen und die Aussage vor der Ermittlungsrichterin gegen den Angeklagten verwendet. Der Angeklagte wurde, gestützt auf die verwerteten Aussagen, wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt.

Rechte des Beschuldigten verletzt - Urteil des BGH vom 27. Juni 2013 (3 StR 435/12)

Mit der Revision erhob Kollege Volker König eine Verfahrensrüge. Der BGH gab der Revision mit dem vorgenannten Urteil nach mündlicher Verhandlung statt. Es führte dazu aus, dass die Rechte des Beschuldigten verletzt wurden:

 

"Die von der Revision zulässig erhobene Verfahrensrüge zeigt auf, dass bei der Vernehmung des Angeklagten durch die Ermittlungsrichterin in unzulässiger Weise in dessen Rechte, sich zur Sache äußern zu müssen und vor der Vernehmung einen Verteidiger zu befragen (§ 136 Abs. 1 Satz 2 StPO), eingegriffen worden ist"

Das Urteil des BGH ist mit der vollständigen und lesenswerten Begründung hier nachzulesen.

 

Weitere Informationen zu den Rechten des Beschuldigten und Rechten des Angeklagten finden Sie auch auf meiner Webseite. Auch zu der häufig gestellten Frage, ob man im Strafverfahren lügen darf, finden Sie Antwort.


Rechtsanwalt Oliver Marson

BGH zur Vernehmung des Beschuldigten durch Haftrichter

Vernehmung des Beschuldigten
Rechtsanwalt Oliver Marson

Vor Vernehmung des Beschuldigten Konsultation mit Rechtsanwalt

Erfolgreiche Revision des Kollegen Rechtsanwalt Volker König

Der BGH hat mit Urteil vom 27. Juni 2013 (AZ: 3 StR 435/12) sich zur Vernehmung des Beschuldigten geäußert und die Rechte eines Beschuldigten hinsichtlich der Beachtung des Aussageverweigerungsrechts und anwaltichen Konsultationsrechts weiter gestärkt.

Der 3. Strafsenat hatte über eine von Rechtsanwalt Volker König vertretene Revision gegen das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 26. April 2012 zu entscheiden. Gerügt wurde die Nichtbeachtung der Rechte bei der Vernehmung des Beschuldigten. Dem lag folgender Sachverhalt zu Grunde:

"Der Beschuldigte war am 24. Juli 2011 festgenommen worden und am 25. Juli 2011 dem Haftrichter zur Verkündung eines Haftbefehls vorgeführt worden. Nach den Ermittlungen der Polizei soll der Beschuldigte in der Nacht vom 1. auf den 2. Juli 2011 einen am Boden liegenden Geschädigten zweimal an den Kopf getreten haben, wobei dieser schwer verletzt worden sei.

Die Staatsanwaltschaft beantragte daraufhin gegen den Beschuldigten einen Haftbefehl beim zuständigen Amtsgericht, der auch erlassen wurde. Der Beschuldigte wurde dem Haftrichter zur Verkündung des Haftbefehls vorgeführt. Ordnungsgemäß gab der Haftrichter dem Beschuldigten zur Kenntnis, welcher Straftat er verdächtig sei. Der Haftrichter belehrte den Beschuldigten auch ordnungsgemäß über sein Aussageverweigerungsrecht (§ 136 StPO). Auf die weitergehende Frage des Haftrichters, welchen Rechtsanwalt der Beschuldigte beigeordnet haben möchte erklärte dieser: "Ich möchte Rechtsanwalt König beigeordnet haben".

Daraufhin versuchte der Haftrichter um 13:45 Uhr Rechtsanwalt König fernmündlich zu erreichen. Zu dieser Zeit war in der Kanzlei von Rechtsanwalt König ein Anrufbeantworter eingeschaltet, der dem Anrufer mitteilte, dass in der Zeit von 13:00 Uhr bis 15:00 Uhr eine Mittagspause in der Kanzlei gemacht werde und die Kanzlei erst ab 15:00 Uhr wieder zu erreichen sei.

Dies teilte der Haftrichter dem Beschuldigten mit.

Daraufhin äußerte der Beschuldigte: "Ich möchte dazu nichts sagen." Er sagte weiter: "Es hat doch eh keinen Sinn, hier (der Beschuldigte zeigt auf den Haftbefehl) wird doch nur Scheiße erzählt." Danach machte der Beschuldigte gegenüber dem Haftrichter umfangreiche Angaben zum Straftatvorwurf. Anschließend wurde der Beschuldigte in Haft genommen."

Verhandlung vor dem Landgericht Lüneburg

In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht schwieg der Angeklagte und machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Rechtsanwalt Volker König legte rechtzeitig in der Hauptverhandlung Widerspruch gegen die Beweiserhebung (insbesondere des Haftrichters) ein . Er begründete das mit der Verletzung der Rechte  bei der Vernehmung des Beschuldigten, in dem ihm die Möglichkeit der Konsultation mit einem Rechtsanwalt verwehrt wurde.

Darüber setzte sich das Landgericht hinweg. Es vernahm den Haftrichter dazu, was der Beschuldigte anlässlich der Haftbefehlsverkündung zum Straftatvorwurf geäußert hatte. Aufgrund der Aussage des Haftrichters wurde der Angeklagte zu einer längeren Jugendstrafe verurteilt.

Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof

Die Revision des Kollegen Volker König hatte Erfolg. In der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesgerichtshof erläuterte der Vorsitzende Richter, dass das Landgericht im vorliegenden Fall das Konsultationsrecht des Angeklagten mit einem Rechtsanwalt verletzt habe und die Aussage des Haftrichters einem Verwertungsverbot unterliege. Jeder Beschuldigte und Angeklagte habe das Recht, sich vor seiner Vernehmung mit einem Strafverteidiger zu beraten. Der BGH deutete an, dass die Vernehmung des Beschuldigten bei der Verkündung des Haftbefehls nicht hätte fortgesetzt werden dürfen, ohne dass der Beschuldigte einen Verteidiger konsultieren konnte, nachdem er erklärt hatte, dass er nichts zum Straftatvorwurf aussagen möchte.

Mit dieser Entscheidung hat der BGH die Rechte von Beschuldigten abermals gestärkt. Das Urteil liegt in Schriftform noch nicht vor, wird aber später als PDF eingestellt werden. Der Kollege Volker König hat mich um Veröffentlichung gebeten.

Weitergehende Informationen zu den gesetzlichen Regelungen bei der Vernehmung von Beschuldigten finden Sie auch auf meiner Webseite. Auf den jeweiligen Unterseiten sind konkrete Ausführungen zu den Rechten der Beschuldigten eingestellt.

 

 


Organspende - Untersuchungshaft gegen Arzt wegen versuchten Totschlags?

Organspende - Untersuchungshaft gegen Arzt wegen versuchten Totschlags
Rechtsanwalt Oliver Marson

Organspende - Untersuchungshaft gegen Arzt wegen versuchten Totschlags?

Das Thema  Organspende - Untersuchungshaft gegen Arzt wegen versuchten Totschlags - bleibt aktuell. Wie heute Spiegel online berichtet, ermittelt die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen drei Ärzte wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Nach Spiegel wird ihnen vorgeworfen,

Patientendaten manipuliert zu haben, um Wartenden schneller zu einer Spenderleber zu verhelfen. Ob dadurch andere Patienten zu Schaden gekommen oder sogar gestorben sind, soll nun geklärt werden.

Grundlage der Ermittlungen sind 38 Fälle, in denen falsche Angaben zum Gesundheitszustand der Patienten an das Transplantationszentrum weitergeleitet wurden. Die Universität hatte die Fälle Anfang des Jahres selbst publik gemacht. Zudem wurden zwei Oberärzte gekündigt und ein Mediziner des Transplantationszentrums wurde suspendiert.

Aus dieser Mitteilung ist nicht im Entferntesten zu entnehmen, dass Verdacht wegen versuchten Totschlags bestehen könnte. Es ist auch gut denkbar, dass trotz eventueller Manipulationen der Ärzte keiner der Straftatbestände erfüllt ist und das Ermittlungsverfahren eines Tages mangels Tatverdacht gem. § 170 Abs. 2 StPO enigestellt wird.

Untersuchungshaft gegen Arzt wegen versuchten Totschlags?

Wie der Spiegel einige Tage zuvor berichtete, sei nun gegen einen Arzt in Göttingen Anklage wegen versuchten Totschlags erhoben worden. Hintergrund sollen auch hier Manipulationen mit Spenderorganen sein. Der Arzt soll - ebenfalls nach Spiegel-Bericht - in Untersuchungshaft einsitzen. Und hier stellt sich mir die Frage: Untersuchungshaft gegen Arzt wegen versuchten Totschlags?

Der Medienberichterstattung ist nicht zu entnehmen, ob ein Haftgrund als Voraussetzung für den Erlass eines Haftbefehls vorliegt. Ich zweifel das an. Aber selbst wenn die Voraussetzungen vorliegen, ist mir unverständlich, warum der Arzt nicht auf freiem Fuß sein sollte (Haftverschonung). Denn auch bei dem Verdacht wegen vollendeten Totschlags ist zumindest die Haftverschonung in dafür geeigneten Fällen erreichbar. Das belegt ein Fall vermeintlicher Kindstötung in Berlin.

Aber vielleicht unterliege ich auch einem Irrtum. Denn die Medien berichten oft unter anderem Gesichtspunkt als die Interessenlage eines Strafverteidigers das wünschen würde.


Die Bespitzelung der Welt und Angelas lieber Barack Obama

Bespitzelung der Welt, Strafverteidiger, Rechtsanwalt
Rechtsanwalt Oliver Marson

Die Bespitzelung der Welt

Gerade ist die grösste Bespitzelungskampagne aufgeflogen, die in ihren Dimensionen einer Bespitzelung der Welt gleichkommt und wohl nie in der Menschheitsgeschichte einen solchen Umfang hatte. Der Spiegel fordert die Kanzlerin zu Recht zur Gegenwehr gegen die Spitzelstaaten  USA, Grossbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland auf.

Aber muss uns solche Bespitzelung überraschen? Mich überrascht sie nicht. Es liegt in der Natur der Geheimdienste zu spitzeln, auszuspähen, Informationen zu sammeln und die so gewonnenen Erkenntnisse gegen einzelne Bürger, Gruppierungen, Parteien, Regierungen und Unternehmen zu nutzen. Das dabei auch genötigt, erpresst, Menschen missbraucht und benutzt werden, manchmal auch getötet wird, ist leicht denkbar.

Und wie realistisch ist die berechtigte Forderung des Spiegel an die Kanzlerin, dagegen etwas zu unternehmen? Ich habe jede Hoffnung auf ein unbespitzeltes Dasein - wenn überhaupt gehabt - dann in jedem Falle verloren. Was erhob sich vor gut 20 Jahren nach Öffnung der Spitzelarchive der Staatsicherheit der DDR für ein nachvollziehbarer Aufschrei um die Bespitzelung in der DDR. Aber auch das überraschte mich nicht, denn auch hier wirkten die naturgegebenen Eigenschaften eines Geheimdienstes mit allen seinen negativen Auswirkungen, die solche Bespitzelung für jeden Bespitzelten nach sich ziehen oder zumindest nach sich ziehen können.

Und auch die Kanzlerin wird nicht wirklich etwas tun gegen das jetzt bekannte Staatenspitzeln. Der Gründe mag es vieler geben. Und vielleicht gehört zu jenen auch der, dass die Nachrichtendienste der Bundesrepublik eben Geheimdienste sind und auch sie keine andere Natur als andere haben. Ich kann nur vermuten, das die Bespitzelung der deutschen Bevölkerung durch deutsche Geheimdienste weit über das gesetzlich zulässige Spitzeln hinaus geht. Auch deutsches Spitzeln ist aller Wahrscheinlichkeit nach Bestandteil der Bespitzelung der Welt.  Gewissheit wird es erst geben, wenn ein deutscher Whistleblower auspackt oder die Archive geöffnet werden. Solange werden wir uns gedulden und abwarten müssen, ob unsere Datenschutzgesetze einen praktischen Wert besitzen.

Jedenfalls wird die Bundeskanzlerin Herrn Obama nach meiner Überzeugung  wie bei seinem Staatsbesuch vergangene Woche weiter als "lieber Barack" umwerben und alles Spitzelstaatenleben bleibt beim alten.

Der Weg in ein unbespitzeltes Leben der Menschheit wird so lang sein wie ein Leben ohne Kriege. Beides mag heute Utopie sein, aber nicht auf Dauer Utopie bleiben müssen. Irgendwann wird auch die Bespitzelung der Welt zu Ende sein. Aber erst lange nach Angela.