Sitzblockade, Nötigung
Sitzblockade am 28.1.2022 in Berlin

Sitzblockaden auf deutschen Autobahnen und Autobahnzufahrten in Berlin durch Aktion „Letze Generation“ hat zur Einleitung einer Vielzahl von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachtes der Nötigung geführt. Die Berliner Polizei hat mitgeteilt, dass wegen der aktuellen Sitzblockaden gegenwärtig über 200 Anzeigen u.a. wegen des Vorwurfes der Nötigung gegen Blockierer aufgenommen wurden.

Was ist Nötigung und was nicht ?

Sitzblockaden sind ein Mittel der politischen Auseinandersetzung, die immer wieder zu Strafverfahren führten und bereits mehrfach auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigt haben.

Der Tatbestand der Nötigung

Nötigung ist eine unzulässige Gewaltanwendung oder Drohung, die das Opfer zu einer unerwünschten Handlung zwingt. Näheres hierzu finden Sie hier.

Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (§ 240 II StGB)

Sitzblockade – Die Rechtsprechung zur Nötigung

Ist die Sitzblockade der „letzten Generation“ unter den Tatbestand der Nötigung zu fassen?

Fraglich ist, ob eine Sitzblockade unter den Tatbestand der Nötigung gem. § 240 StGB fällt.

Der Tatbestand der Nötigung umfasst das Nötigen eines Menschen durch Gewalt oder Drohung. Ist eine Sitzblockade Gewalt iSd § 240 StGB? Gewalt ist der körperlich wirkende Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch eine physische Einwirkung sonstiger Art, die nach ihrer Zielrichtung, Intensität und Wirkungsweise dazu bestimmt und geeignet ist, die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbestätigung eines anderen aufzuheben oder zu beeinträchtigen (Wessels/ Hettinger/ Engländer, Strafrecht BT 1, Rn. 446; Fischer § 240 Rn.8; BGHSt 41, 182).

Bis 1995 war eine Sitzblockade gem. Rspr. unter den Tatbestand der Nötigung zu fassen (BGH, 20.07.1995 AZ.: 1 StR 126/ 95). Der Begriff der Gewalt könne nicht nur durch physischen, sondern auch psychischen Zwang erfüllt sein. Der Fahrer sei psychischem Zwang ausgesetzt, da er in aller Regel den Blockierer nicht überfahren will (BGH, Urteil 08.August 1969; Az: 2 StR 171/69).

1995 erklärte das BVerfG diese Ansicht für verfassungswidrig. Da eine solche Auslegung des Gewaltbegriffs auch auf psychischen Zwang gegen das Analogieverbot bzw. das Bestimmtheitsgebot Art. 103 Abs. 2 GG verstoße. Die Auslegung des Begriffs „Gewalt“ überschreite die Wortlautgrenze des § 240. Das Vorliegen von Gewalt fordere demnach eine physische Zwangswirkung (BVerfG, Beschluss vom 10.Januar 1995; Az: 1 BvR 718/89).

Auf diesen Beschluss hin entwickelte der BGH seine sog. „Zweite- Reihe- Rspr.“, demnach wenden die Teilnehmer einer Sitzblockade Gewalt an, da hinter dem ersten Fahrzeug die weiteren Fahrzeuge eine physische Barriere haben und somit physischem Zwang ausgesetzt sind (BGH, Urteil 20.07.1995; Az.: 1 StR 126/95). Das BVerfG hält dieses Auffassung des BGH für verfassungsgemäß (BVerfG, Beschluss vom 07.03.2011; Az.: 1 BvR 388/05).

Demnach ist eine Nötigung nach § 240 StGB durch eine Sitzblockade zu bejahen, da es sich bei der Sitzblockade um physische Gewalt handelt, wie der BGH durch seine „Zweite- Reihe- Rspr.“ aus dem Jahr 1995 zeigt. Auch das BVerfG stellt in seinem Beschluss klar, die Rspr. des BGH stehe dem Bestimmtheits- bzw. Analogieverbot nicht entgegen (BVerfG 1995: AZ 1 BVR 718/ 89). Somit ist die Sitzblockade der Demonstranten von der Nötigung erfasst, da die Fahrzeuge aus zweiter Reihe physischen Zwang durch Autos vor ihnen ausgesetzt sind. Dieser physische Zwang ist den Demonstranten durch mittelbare Tatherrschaft durch einen gerechtfertigten Tatmittler (die Auto Fahrer aus erster Reihe) zuzurechnen (BGHSt 3,4 < 5 f.; Schönke/ Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010).

Weiterhin ist jedoch zu fragen, ob eine solche Nötigung nicht durch den Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit) gerechtfertigt ist. Dann wäre die Nötigung durch die Demonstranten nicht rechtswidrig. Eine Sitzblockade ist grds. vom Schutzbereich der Versammlungsfreiheit gedeckt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07. März 2011, Az.: 1 BvR 388/05). Dieser Schutz endet, sobald eine Versammlung einen unfriedlichen Verlauf nimmt. Eine Sitzblockade ist grds. nicht als unfriedlich einzustufen, da sie nicht auf einen gewalttätigen Verlauf abzielt (Beschluss BVerfG 2011). Versammlungen unter freiem Himmel gem. Art.8 Abs.2 GG enthalten einen Gesetzesvorbehalt und können somit eingeschränkt werden. Für eine solche Einschränkung ist eine Abwägung in Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich. Ob eine Nötigung tatsächlich gerechtfertigt ist, ist somit vom Einzelfall abhängig.

Das BVerfG hat den Gewaltbegriff der Nötigung vor allem bei Anketten, Einhaken oder aktivem Widerstand der Teilnehmer gegen ein Wegtragen bejaht (BVerfG, Beschluss vom 24.10.2001; Az.: 1 BvR 1190/ 90). Durch das Anketten der Demonstranten und ihr „festkleben“ ist der Gewaltbegriff der Nötigung somit durchaus zu bejahen. In diesem Fall könnte man bei einer Abwägung also eher eine Nötigung annehmen und einen Eingriff in Art.8 GG als gerechtfertigt sehen.