Pressemeldung vom 12.02.2010

Spiegel-Online stellte sich in einem Bericht vom 10.02.2010 („Westerwelle wagt sich an die Wahrheit über Afghanistan“) auf den Standpunkt, dass die Bewertung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan durch den Außenminister als „bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts“ die rechtliche Lage der deutschen Soldaten verbessere. So gelte nun das Kriegsvölkerrecht, weshalb die Anwendung militärischer Gewalt gestattet sei. Das ist so nicht richtig und trifft auch nicht den Kern des Problems möglicher strafrechtlicher Verantwortlichkeit von Oberst Klein.

Dass es sich vorliegend um einen bewaffneten Konflikt handelt, steht seit Jahren fest und bestimmt sich nach objektiven tatsächlichen und rechtlichen Kriterien. Nicht von ungefähr beobachtet der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag die Situation in Afghanistan.

Entgegen der Berichterstattung in einigen Medien ist jedoch die Anwendung militärischer Gewalt in bewaffneten Konflikten nicht schon deshalb zulässig, weil das humanitäre Völkerrecht Anwendung findet. Anwendung militärischer Gewalt ist vielmehr an bestimmte Kriterien gebunden und unterliegt einer Reihe von Verboten, bei deren Verletzung strafrechtliche Verantwortlichkeit zu bejahen ist.

Die Kernfrage des Problems um die Verantwortung von Oberst Klein besteht also nicht in der Tatsache, dass humanitäres Völkerrecht anzuwenden ist, sondern darin, ob bei der Bombardierung der Tanklastzüge in Kundus die geltenden Regeln eingehalten wurden.

Zu diesem Thema findet kaum eine öffentliche Debatte statt. Diese sollte jedoch vor dem Hintergrund der nachstehend dargestellten Rechtslage geführt werden.

1. Deutschland hat ein eigenes, nationales Völkerstrafgesetzbuch (VStGB). Es droht in § 8 Abs. 1 Nr.1 bei Tötung von nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Personen lebenslange Freiheitsstrafe an.

Das humanitäre Völkerrecht und das Kriegsvölkerstrafrecht finden auf bewaffnete Konflikte Anwendung. Dass es sich vorliegend um einen bewaffneten Konflikt handelt, steht außer Frage. Denn es findet eine Auseinandersetzung unter Anwendung von Waffengewalt statt.

Ob es sich dabei um einen internationalen oder nichtinternationalen bewaffneten Konflikt handelt, ist für die Anwendung der Strafnormen aus § 8 VStGB völlig ohne Bedeutung. Denn ausweislich seines Wortlauts in Abs. 1 findet die Strafnorm sowohl auf internationale als auch auf nichtinternationale Konflikte Anwendung.

2. Zu den nach dem humanitären Völkerrecht zu schützenden Personen gehören die nicht an Kampfhandlungen beteiligte Zivilbevölkerung und einzelne Zivilpersonen. Ihren Schutz regelt das Zusatzprotokoll I vom 8.06.1977 zu den Genfer Abkommen.

Art. 51 Abs. 2 ZP I bestimmt, dass weder die Zivilbevölkerung noch einzelne Zivilpersonen Ziel von Angriffen sein dürfen.

Art. 51 Abs. 4 ZP I verbietet „unterschiedslose Angriffe“. Das sind ua. „Angriffe durch Bombardierung“ (Art. 51 Abs. 5 lit. a) und Angriffe, bei denen damit zu rechnen ist, dass sie auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung verursachen, die in keinem Verhältnis zum erwarteteten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen (Art. 51 Abs. 5 lit. b ZP I).

3. Wegen des Verbots, die Zivilbevölkerung zum Ziel eines Angriffs zu machen, sind Vorsichtsmaßnahmen bei Vorbereitung und Durchführung eines Angriffs zu ergreifen.

Nach Art. 57 Abs. 2 lit. Iii ZP I ist von einem Angriff Abstand zu nehmen, bei dem damit zu rechnen ist, dass er Verluste unter der Zivilbevölkerung verursacht, die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen.

Die Zivilbevölkerung ist außerdem vor einem Angriff zu warnen ( Art. 57 Abs. 2 Buchst. c).

4. Ergebnis:

4.1. Es liegt in Anbetracht der dargestellten Gesetzeslage auf der Hand, dass auf den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan das deutsche Völkerstrafgesetzbuch und die Regelungen des ZP I anzuwenden sind. Anzuwenden ist dabei auch die reichhaltige Rechtsprechung gerade des Jugoslawientribunals zur Verhälnismäßigkeit des Einsatzes bewaffneter Gewalt und nicht gerechtfertigter Nebenfolgen (collateral damage).

Verantwortliche Militärangehörige und viele Politiker behaupten pauschal, der Angriff sei verhältnismäßig gewesen. Dezidierte Begründungen bleiben aus.

Gerade aber die konkrete Beantwortung der Frage nach der Verhältnismäßigkeit ist das eigentliche Kernproblem.

Tatsächlich fehlt bisher eine detaillierte Aufklärung, ob die Tötung von über 100 Zivilisten verhältnismäßig zum erwarteten konkreten militärischen Vorteil gewesen ist und somit rechtmäßig gewesen sein könnte. Dies ist ein ausschließlich juristischer und kein politischer Klärungsprozess, der anhand der im Völkerstrafrecht entwickelten Kriterien zu führen ist. Es stellt sich die Frage, ob ein solcher Vorteil tatsächlich bestanden hat, zumal auch kein feindlicher Angriff, erst recht kein unmittelbarer Angriff und keine akute Gefährdung der Bundeswehr drohte oder sonst wie erkennbar ist.

Wenn Militärangehörige vor der Bombardierung Sichtkontakt zu den Tanklastern gehabt hätten – wie jetzt laut Medienberichterstattung behauptet – und dabei keine Zivilpersonen festgestellt haben wollen, könnte sich das sehr schnell als Schutzbehauptung entpuppen. Denn es ist auszuschließen, dass eine so große Ansammlung von über 100 Menschen an den Tanklastzügen nicht durch Sichtkontakt erkennbar gewesen sein soll.

Wenn also Sichtkontakt bestand, wurden zwangsläufig auch die Zivilpersonen wahrgenommen und dennoch ohne die vorgeschriebene Warnung (Art. 57 Abs. 2 Buchst. c) ZP I) rechtswidrig bombardiert.

Wenn alternativ kein Sichtkontakt bestand, wurde folglich gar nicht geprüft, ob durch die Bombardierung Zivilpersonen getötet und verletzt werden konnten. Dann aber liegt ein rechtswidriger Verstoß gegen die Ergreifung von Vorsichtsmaßnahmen vor. (Art. 57 Abs. 2 Buchst. a ZP I).

So oder so, derzeit sprechen stichhaltige Gründe für die Rechtswidrigkeit der Bombardierung. Der Verdacht einer Straftat nach § 8 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches (Tötung und Verletzung von Zivilpersonen) gegen Oberst Klein und ggf. weitere Bundeswehrangehörige ist begründet.

Nicht etwa rechtliche Unklarheiten über die anzuwendenden Gesetze lassen Bundeswehrangehörige in Afghanistan in ein rechtliches Loch fallen. Vielmehr ist es die seit Monaten andauernde Verschleierung der Umstände der Bombardierung durch Militär und Politik. Auch eine zügige Entscheidung der Staatsanwaltschaft, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten und Anklage zu erheben wäre förderlich, die unumgängliche rechtliche Klärung um die strafrechtliche Verantwortlichkeit herbeizuführen. Das liegt auch im Interesse wünschenswerter Herstellung rechtlicher Klarheit der in Afghanistan eingesetzten Bundeswehr.

Ulrich Dost
Rechtsanwalt

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