Pressemeldung vom 08.12.2009

Die angekündigte Entschädigung afghanischer Kriegsopfer schafft keinen Schutz der Zivilbevölkerung bei Verletzungs- und Tötungshandlungen durch Bundeswehr und NATO – Zivilbevölkerung bleibt auch weiterhin rechtlich und tatsächlich Freiwild zum Töten.

Hier eingegangene Medienanfragen veranlassen mich, meine Auffassung zu der Problematik des Opferschutzes in Kriegen und bei kriegsähnlichen Zuständen auch auf meiner Webseite zu veröffentlichen.
Die bisherige Medienberichterstattung hat sich auf die Aufklärung der Umstände der Bombardierung, auf die vermeintlichen Vertuschungsbemühungen der Politik und auf personelle Konsequenzen in der Regierung konzentriert.
Rechtspolitisch ist das Problem in seiner Tiefe bisher nur wenig behandelt worden.

Rückblick: Zivilopfer bei NATO-Kriegsführung in Jugoslawien 1999

In den Vormittagsstunden des 30. Mai 1999 bombardierte die NATO im Rahmen der gegen Jugoslawien geführten Kriegshandlungen außerhalb von Kampfgebieten eine ausschließlich für zivile Zwecke brauchbare und genutzte Brücke der Kleinstadt Varvarin im Bundesland Serbien. Der Angriff erfolgte ohne Vorwarnung. Mit der ersten Angriffswelle wurde die Brücke mit einer Rakete vollständig zerstört, es gab Tote und Schwerverletzte unter den Bewohnern der Stadt. Als Menschen zur Hilfe eilten, erfolgte ein zweiter Angriff. Der Abschuss einer zweiten Rakete erhöhte die Anzahl der Opfer auf insgesamt 10 Tote und 17 Schwerverletzte.

Deutsche Gerichte verwehren Kriegsopferschutz

Die Opfer scheiterten mit der von mir eingereichten Klage über alle Instanzen. Der BGH führte in seiner Begründung im wesentlichen (Urteil vom 02.11.2006) aus:
Es sei in den einschlägigen völkerrechtlichen Verträgen kein von den Geschädigten individuell durchsetzbarerer Schadenersatz- oder Entschädigungsanspruch für zivile Opfer normiert worden, so dass die Klage bereits formal an der fehlenden Aktivlegitimation scheitert. Die Opfer sind also selbst nicht klagebefugt;
Die fehlende Aktivlegitimation der Opfer führe zu einer fehlenden völkerrechtlichen Einstandspflicht der Bundesrepublik, so dass eine gerichtliche Überprüfung des Angriffs auf seine Rechtswidrigkeit und (Mit-) Verantwortlichkeit Deutschlands nicht erforderlich sei;
Schadenersatzansprüche aus nationalem (deutschen) Recht (Amtshaftung nach § 839 BGB) seien ausgeschlossen, weil schon bis zum Zweiten Weltkrieg militärische Kriegshandlungen vom Amtshaftungstatbestand ausgenommen gewesen seien und der BGH in seiner o.g. Entscheidung ausdrücklich offen ließ, ob sich daran nach über 60 Jahren etwas geändert habe;
Im übrigen konnten die klagenden Opfer nicht beweisen, welcher Nationalität die Piloten waren, die den Angriff unmittelbar geflogen haben. Der Angriff könne Deutschland schon deshalb nicht (mit-) verantwortlich zugerechnet werden, nur weil sich die Bundesrepublik „überhaupt“ an den Luftoperationen der NATO beteiligt habe. Im übrigen seien die deutschen NATO-Truppen nicht über die Art des Angriffs auf die Brücke von Varvarin informiert gewesen, so dass ihnen auch im Falle eventueller Unterstützungshandlungen für den Angriff der erforderliche Vorsatz gefehlt habe, der für die Zurechnung als Mittäter oder Gehilfe erforderlich sei;
Die Überprüfung, ob ein Ziel wie die Brücke unter die nach Völkerrecht vor Angriffen zu schützenden zivilen Objekte falle, lehnt der BGH in Übereinstimmung mit dem OLG Köln offensichtlich grundsätzlich ab, „weil (sich) eine solche Entscheidung im Rahmen eines weiten, insoweit nicht justiziablen Beurteilungsspielraums der militärischen Führungsstellen beweg(e)… .“ So entspreche es „ständiger Rechtssprechung, dass in einzelnen hoheitlichen Bereichen den zuständigen Stellen bei bestimmten Maßnahmen wegen der besonderen Natur derselben Beurteilungsspielräume zustehen, die im Amtshaftungsprozess nicht uneingeschränkt auf ihre sachliche Richtigkeit zu überprüfen sind.“
Parallelen und Unterschiede zwischen den jugoslawischen und afghanischen Kriegsopfern
Wenn es zu den von der Bundesregierung angekündigten Entschädigungszahlungen für die afghanischen Hinterbliebenen kommt, so ist das mehr als wünschenswert.
Es ändert aber nichts daran, dass es die Rechtslage wie bei den jugoslawischen Kriegsopfern – jedenfalls nach der derzeitigen Rechtssprechung – nicht hergibt.
Denn – wie dargelegt – sprechen deutsche Gerichte Kriegsopfern die eigenständige Klagebefugnis ab, sehen keine völkerrechtliche oder nationale Anspruchsgrundlage für Schadenersatzansprüche und verweigern die gerichtliche Überprüfung militärischen Handelns.

Die aktuelle Gesetzeslage und Rechtssprechung in Deutschland stellt Kriegsopfer rechtlos. Sie stellt, wenn auch ungewollt, rechtlich und faktisch einen Freibrief in der Anwendung von Kriegswaffen und somit zum Töten aus. Soweit interne Regelungen für die Anwendung von Waffen zum Schutze der Zivilbevölkerung innerhalb der NATO existieren sollten, so ist deren Effizienz und Einhaltung jeder Beurteilung entzogen, weil die gerichtliche Überprüfung militärischer Handlungen abgelehnt wird. Vertuschungsaktionen in Politik und Militär wird so Vorschub geleistet.

Fazit

Unabhängig davon, dass die Geschichte unter Beweis gestellt hat, dass Probleme der Völker durch militärische Handlungen verschärft werden und so nicht lösbar sind, gilt es endlich, Kriegsopfern den gebührenden materiell- und prozessrechtlichen Gesetzesschutz einzuräumen und in solchen Fällen eine zügige strafrechtliche Aufklärung zu gewährleisten. Gerade auch letzteres ist im aktuellen Fall jedenfalls öffentlich nicht erkennbar.

Das gilt um so mehr, weil die Tötung von Zivilpersonen durch US-Militär mindestens in Kenntnis der übrigen NATO-Truppen seit Jahren eine ständige Begleiterscheinung ist und – wie auch in Jugoslawien – nicht auf Einzelfälle reduziert werden kann.

Ulrich Dost
Rechtsanwalt

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