Mit der Revision nochmals zum BGH
Und nochmals geht es in die Revision zum 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs. Gegenstand des Verfahrens ist der Erstickungstod eines Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt im Dezember 2012.
Die 1. I. Instanz erkannte auf Totschlag
Erst erkannte die 29. große Strafkammer des Landgerichts Berlin auf Totschlag und verurteilte meine Mandantin im November 2013 zu 3 Jahren Freiheitsstrafe. Ich berichtete
Erste Revision wegen Verstoß gegen das Verwertungsverbot
Die dagegen gerichtete erste Revision war erfolgreich. Das Urteil hob der BGH im Oktober 2014 mit den Feststellungen auf, weil es unter Verstoß gegen das absolute Verwertungsverbot des §136a Abs. 3 Satz 2 StPO ein mit verbotenen Vernehmungsmethoden erlangtes „Geständnis“ meiner Mandantin verwendete. Der Beschluss des BGH ist hier nachzulesen.
Die zweite I. Instanz erkannte auf fahrlässige Tötung
Im November 2015 fällte die 40. große Strafkammer des Landgerichts Berlin nach neuerlicher Hauptverhandlung das Urteil. Die Mandantin wurde nun wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten auf Bewährung verurteilt. Auch dazu findet sich hier ein Beitrag.
Der Sachverhalt nach dem aktuellen Urteil
Die Mandantin hatte mit niemandem über die Schwangerschaft gesprochen. Sie hatte im Dezember 2012 noch nicht mit der von ihr verdrängten Geburt gerechnet und war deshalb vom Einsetzten des Geburtsvorganges mitten in der Nacht überrascht. Sie gebar das Kind in der elterlichen Wohnung. Die Eltern schliefen im Nachbarzimmer. Hilfe holte die Mandantin nicht. Unmittelbar nach der Geburt fiel sie in Ohnmacht. Die Beine kamen auf dem mit dem Gesicht nach unten liegenden Kind zum Erliegen, so dass die Atemwege blockiert wurden und das Kind wenige Minuten nach der Geburt erstickte.
Die Rechtsauffassung des Landgerichts
Mit der im Urteil enthaltenen Rechtsmeinung stellt sich das Landgericht Berlin gegen die bisherige Rechtsprechung des BGH. Der BGH sah bisher nicht grundsätzlich eine Pflicht der Gebärenden, einen Geburtshelfer, eine Hebamme, einen Arzt oder sonstige Dritte zur Geburt heranzuziehen. Anders nun das Landgericht Berlin. Es postuliert eine solche Pflicht grundsätzlich. Begründet wird das damit, das jede Geburt ein naturgegebenes Risiko für Leib und Leben des Kindes in sich bürge. Die Mandantin war Erstgebärende und hatte keine Erfahrungen. Sie habe sich vor der Geburt nicht kundig gemacht, wie ein Geburtsvorgang verlaufe und was zu beachten sei. Sie habe an keiner Vorsorgeuntersuchung teilgenommen und keinen Gynäkologen aufgesucht. Hätte sie die im Nachbarzimmer schlafenden Eltern zur Geburt herbeigerufen, so hätten diese die gefährliche Lage des Kindes erkannt und es durch einfaches Hochheben daraus befreit, so dass dann der Erstickungstod vermieden worden wäre. Die weitergehende Urteilsbegründung findet sich hier.
Die zweite Revision mit dem Ziel des Freispruchs
Dagegen hat meine Mandantin Revision einlegen lassen. Sie verfolgt ihr Ziel eines Freispruchs weiter. Auch die Staatsanwaltschaft ist diesmal in Revision gegangen. Sie hatte eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren gefordert. Nicht jedoch wegen fahrlässiger Tötung. Sie geht von Totschlag durch Unterlassen aus.
Nach einhelliger Rechtsprechung des BGH begründet erst die Geburt des Kindes die Garantenstellung einer Mutter. Erst dann entsteht die Fürsorgepflicht. Das Landgericht vorverlagert diese Fürsorgepflicht nun in die Zeit des „ungeborenen Lebens“. Ungeachtet der Tatsache, dass die Schwangerschaft unauffällig und die Geburt normal verlief, gab es auch insofern keinen Grund für die werdende Mutter anzunehmen, die Geburt ohne fremde Hilfe könnte zu Gesundheitsschäden oder sogar zum Tod des Kindes führen. Hinzu kommt, dass die Mandantin unmittelbar nach der Geburt in Ohnmacht fiel, schuld- und handlungsunfähig war. Sie konnte daher die gefährliche Lage des Neugeborenen nicht erkennen und auch die Eltern nicht herbeirufen. Nach den Feststellungen des Gerichtsmediziners verstarb das Kind in nur wenigen Minuten. Aus hiesiger Sicht ein Unglücksfall, für den meine Mandantin entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen ist.
4 Kommentare
Die Kommentarfunktion ist deaktiviert.
DER BGH verurteilt sie dann wegen vorsätzlicher Tötung durch aktives Tun. Das reicht aus, dass sie alleine im Zimmer war und das tote Kind mit einer Decke bedeckt war.
Der BGH hat nicht verurteilt, sondern das Urteil aufgehoben. Das danach ergangene Urteil nahm auch keine Verurteilung mehr wegen Totschlags vor:https://dost-rechtsanwalt.de/totschlagsprozess-mit-teilerfolg-beendet/.
Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Mandantin verfolgt ihr Ziel auf einen Freispruch weiter:https://dost-rechtsanwalt.de/zweite-revision-um-den-tod-eines-neugeborenen/
Moin!
Wurde das verfahren inzwischen rechtskräftig abgeschlossen?
Gruss aus Kiel,
Thomas Lemke
Ja. Das Verfahren endete mit einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Das Gericht war der Meinung, die Mandantin hätte bei der komplzierten Geburt Hilfe herbeiholen müssen. Verhängt wurde eine Bewährungsstrafe von 9 Monaten.