Verurteilungswille in Berliner Kindstötungsprozess?
Den Eindruck von Verurteilungswille hinterließ das Berliner Landgericht mit der mündlichen Urteilsbegründung am 25.11.2013 in dem zu Ende gegangenen Kindstötungsprozess. Unter Verneinung der Voraussetzungen des § 21 StGB ging die Strafkammer von einem minder schweren Fall des Totschlags aus. Die Kammer verhängte eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und folgte somit dem Antrag der Staatsanwaltschaft. So weit, so gut. Aber der Schuldspruch beruht ausschließlich auf Aussagen, die die Angeklagte in einer Beschuldigtenvernehmung tätigte und die schon bei oberflächlicher Betrachtung einem Verwertungsverbot unterliegen.
Verteidigung beantragte Freispruch und sah Verwertungsverbot
Die Verteidigung hatte Freispruch beantragt. Gegen die Verwertung der Beschuldigtenvernehmung war Verwertungswiderspruch erhoben worden. Dieser hätte unter Zugrundelegung der konkreten Umstände (Ermüdung) zu einem Verwertungsverbot gem. § 136a StPO führen müssen. Die Angeklagte war zu Beginn der Vernehmung weit über 30 Stunden ohne Schlaf.
Gericht verneint Verwertungsverbot
Das Landgericht verneinte in der mündlichen Urteilsbegründung eine Übermüdung und ein sich daraus ableitendes Beweisverwertungsverbot trotz der langen Schlaflosigkeit u.a. damit, dass sich die Beschuldigte nach Aussagen der Vernehmungsbeamten zu Beginn der Vernehmung in einem „erstaunlich guten Zustand“ befunden habe. Auch habe eine Gynäkologin im Vorfeld der Vernehmung im Krankenhaus den Polizeibeamten mitgeteilt, die Angeklagte sei „vernehmungsfähig“. Im übrigen habe die Angeklagte in der Vernehmung detaillierte Angaben getätigt, was auf ihre „Vernehmungsfähigkeit“ schließen lasse.
Willkürliche Verneinung des Verwertungsverbots
Die Begründung des Landgerichts Berlin zur Verneinung des Verwertungsverbots erscheint willkürlich und ist unter Zugrundelegung der konkreten Umstände schlicht abwegig. Und eben das erweckt den Anschein, das bei dieser Entscheidung Verurteilungswille mitgespielt haben könnte. Denn ein Mensch, der weit über 30 Stunden nicht geschlafen hat, dürfte schon deshalb im Sinne des § 136a StPO übermüdet sein. Wenn wie hier noch zusätzliche Umstände wie extrem hoher Blutverlust und Blutarmut, Erschöpfung durch Geburt, Einnahme von schlaffördernden Medikamenten vor der Vernehmung, hinzutreten, dann liegt es auf der Hand, dass die Entschließungsfreiheit zum Zeitpunkt des Vernehmungsbeginns erheblich beeinträchtigt war. Und das war nicht nur nicht auszuschließen, sondern wegen der konkreten Umstände höchst wahrscheinlich anzunehmen.
Wahrheitsfindung nicht unter allen Umständen
Es ist nicht die Aufgabe der Gerichte, immer und unter allen Umständen „Wahrheit“ zu erforschen. Dem sind, wie sich auch aus § 136a StPO ergibt, gesetzliche Grenzen gesetzt. Die Qualität einer Strafkammer bemisst sich gerade daran, wie konsequent sie auch diejenigen Regeln anwendet, die Wahrheitsfindung begrenzen. Das Urteil wird zur revisonsrechtlichen Überprüfung dem Bundesgerichtshof (BGH) zugehen.
6 Kommentare
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Wenn der BGH an seiner bisherigen restriktiven Linie festhält (s. BGHSt 38, 291 ff.), wird die Revision kaum etwas nützen.
3 Jahre FHS klingen ja ohne § 21 StGB nach einer eher moderaten Entscheidung. Hätten bei einem Geständnis ja glatt „2 mit“ drin sein können.
Die Frage ist nicht, was hätte bei einem Geständnis sein können. Das Problem ist, dass das Gericht nicht das tat, was es hätte tun müssen. Nämlich freizusprechen in Folge von § 136a StPO.