Verstößt die nachträgliche Sicherungsverwahrung gegen Art. 5 der EMRK?

Die Sicherungungsverwahrung kann sich nach einer Haftstrafe anschließen und ist ein freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sichunr nach §§ 66, 66a StGB. Eine solche Maßregel kann auch unter bestimmten Voraussetzungen nachträglich angeordnet werden.
Eine Freiheitsentziehung, zu der nach der Rechtsprechung des EGMR (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) auch die Sicherungsverwahrung gehört, darf nur unter den Voraussetzungen des Art. 5 EMRK erfolgen: Der Gerichtshof weist darauf hin, dass eine erschöpfende Liste zulässiger Gründe für die Freiheitsentziehung in Artikel 5 Abs. 1 Buchstaben a bis f enthalten ist und eine Freiheitsentziehung nur rechtmäßig sein kann, wenn sie von einem dieser Gründe erfasst wird (EGMR 27505/14):
Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) legitimiert die Freiheitsentziehung, die sich aus einer gerichtlichen Verurteilung ableiten und den Betroffenen sanktionieren. Hier wird ein hinreichender Kausalzusammenhang zwischen der Verurteilung und der Freiheitsentziehung gefordert. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung fällt nicht unter Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a, da ihre nachträgliche Anordnung nicht unmittelbar mit einer vorherigen konstitutiven Schuldfeststellung verbunden ist, wenn sie in der ursprünglichen Verurteilung nicht vorhergesehen war (EGMR 19.04.2012 – 61272/09). Daher kann Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. a EMRK nicht zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung herangezogen werden.
Art. 5 Abs. 1 S. 1 lit. c EMRK legitimiert die Freiheitsentziehung in Verdachtsfällen. Zwar greift die Norm bei dem Haftgrund der Wiederholungsgefahr, sodass es zunächst den Anschein hat, dass eine Präventivhaft mit der Norm begründet werden könnte. Aber da die in Zukunft befürchteten Taten in Bezug auf Tatort, Tatzeit und Tatopfer nicht näher konkretisiert sind, kann die Sicherungsverwahrung nicht gerechtfertigt werden (EGMR 17.12.2009 – 19359/04).
Entscheidend für die Freiheitsentziehung im Rahmen der Sicherungsverwahrung ist Art. 5 Abs. 1 S.1 lit. e EMRK. Die EMRK gestattet den Vertragsstaaten die Freiheitsentziehung im Falle von psychisch Kranken anzuordnen und zu vollziehen. Die Freiheitsentziehung ist aber nur dann gerechtfertigt, wenn sie gesichert infolge einer aus der Krankheit resultierenden Gefahr notwendig ist, um die öffentliche Sicherheit zu schützen. Die vier folgenden Voraussetzungen sind zur Rechtfertigung der Freiheitsentziehung erforderlich:
- Die gesicherte Feststellung, dass eine psychische Erkrankung vorliegt;
- Die Haft muss auch im Einzelfall verhältnismäßig sein;
- Die Haft darf nur so lange angeordnet und vollzogen werden, wie es die Erkrankung erzwingt;
- Die Unterbringung muss die Behandlung des Betroffenen wegen seiner Erkrankung ermöglichen;
Im Hinblick auf die erste Voraussetzung gilt, dass eine tatsächliche psychische Störung aufgrund eines objektiven ärztlichen Gutachtens von einer zuständigen Behörde festgestellt worden ist. Dabei verfügen die nationalen Behörden hinsichtlich der Bewertung klinischer Befunde über einen gewissen Ermessensspielraum. Aber die in Artikel 5 Abs. 1 aufgeführten zulässigen Gründe für eine Freiheitsentziehung sind eng auszulegen. Eine psychische Erkrankung muss einen gewissen Schweregrad aufweisen, um als „tatsächliche“ psychische Störung im Sinne von Artikel 5 Abs. 1 Buchstabe e angesehen zu werden, da sie so ernst sein muss, dass sie der Behandlung in einer Einrichtung für psychisch kranke Patienten bedarf (EGMR 6281/13).
Wenn eine der vorgenannten Voraussetzungen nicht erfüllt sind, dann kann die Freiheitsentziehung nicht auf Art. 5 Abs.1 S. 1 lit. e gestützt werden. In diesem Falle wäre die nachträgliche Sicherungsverwahrung konventionswidrig.