Totschlag und Kindstötung?
Wie berichtet, wird derzeit vor der 29. Großen Strafkammer des Landgerichts Berlin ein Verfahren wegen Totschlag statt. Der Angeklagten wird die Tötung ihres Kindes unmittelbar nach der Geburt vorgeworfen. Nach der bisherigen Beweisaufnahme steht fest, dass das Kind lebend geboren wurde, die Atmung einsetzte und nur wenige Minuten danach erstickt ist. Der Mandantin wird vorgeworfen, eine Bettdecke auf das Kind gedrückt und es so erstickt zu haben. Sie streitet die Tat vehement ab.
Recherchen der Verteidigung stellen Totschlag in Frage
Inzwischen weisen intensive Recherchen der Verteidigung ein alternatives Bild für die Todesursache auf. Es liegt nahe, dass das Kind nicht durch Totschlag um`s Leben kam, sondern auf Grund spezifischer Geburtsumstände ohne Fremdverschulden erstickte.
Geburt im präfinalen Zustand mit anschließendem Ersicken statt Totschlag
Es lagen Besonderheiten bei der Geburt vor. Das Kind wurde in Becken-End-Lage geboren. Das ist insofern schon kompliziert, weil das Kind so nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Steiß zuerst geboren wird. Es besteht dann das Risiko der Kompression der Nabelschnur, infolgedessen es zunächst zur erheblichen körperlichen Schwächung und bereits nach 3 bis max. 5 min. definitiv zum Tod des Neugeborenen kommt. Bei der Mandantin verkomplizierte sich die Geburt noch dadurch, dass sie das Kind nicht zuerst mit dem Steiß gebar, sondern mit den Beinen („Fußvorfall„). Das aber führt unweigerlich zur Kompression der Nabelschnur und zu Sauerstoffunterversorgung des Kindes während des Geburtsvorganges. Eine zusätzliche physiologische Kompression der Nabelschnur erfolgte dadurch, dass die Mandantin an dem schon geborenen Körper des Kindes über längere Zeit zog, um den im Geburtskanal oder Beckenbereich steckengebliebenen Kopf freizubekommen. Als dann auch der Kopf geboren war, befand sich das Kind auf Grund des zuvor eingetretenen Sauerstoffmangels in einem präfinalen Zustand, also nicht mehr überlebensfähig. Körperlich geschwächt war es nur noch zu einer sogenannten „Schnappatmung“ über einen kurzen Zeitraum in der Lage und erstickte an Sauerstoffmangel.
Rechtsmedizinische Gutachten korrespondieren mit Recherchen zur Todesursache
Diese „Schnappatmung“ korrespondiert auch mit den Feststellungen der Rechtsmedizin. So konnte nei der Obduktion im Magen-Darm-Trakt keine Luft festtgestellt werden.Sie wäre aber festgestellt worden, wenn nach der Geburt eine normale Atmung eingetreten wäre oder das Kind geschrien hätte. Die „Schnappatmung“ reichte lediglich zur Belüftung der Lungen aus. Das wiederum korrespondiert mit den Einlassungen der Mandantin, die angab, das Neugeborene habe leblos gewirkt, sich nicht bewegt und nicht geschrien.
Antrag auf Einholung eines Geburtsmedizinischen Sachverständigengutachtens
In Folge der neuen Erkenntnisse wurde in der heutigen Hauptverhandlung ein Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis der Tatsache gestellt (Kurzfassung), dass das Kind in Folge einer Kompression der Nabelschnur und der sich daraus ergebenden Sauerstoffunterversorgung während des Geburtsvorganges in einem präfinalen Zustand zur Welt kam und nach kurzer Schnappatmung ohne Fremdverschulden verstarb. Der Antrag ist hier veröffentlicht.
2 Kommentare
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Verständnisfrage: Und die Mutter hatte keine Garantenpflicht? Ich empfinde es als ausgesprochen fahrlässig, sich bei einer Geburt nicht zumindest einer Hebamme zu bedienen. Wieso hatte sie sich nicht rechtzeitig darum gekümmert, dass eine solche im Falle der Geburt herbeigerufen werden kann? Insbesondere, wenn es sich um eine risikoträchtigere Geburt (Steißlage) handelt.
Es handelt sich um einen Fall der unerwarteteten und zudem verdrängten sowie verheimlichten Schwangerschft. Das macht alles anders als im Normalfall.