Pressemeldung vom 03.11.2009
Seit zwei Wochen berichten die Medien über einen angeblichen Datenklau auf den Plattformen „SchülerVZ“, „MeinVZ“ und „StudiVZ“. Danach soll ein 20-jähriger Mann über zwei Millionen Daten aus Profilen der Nutzer herunter geladen und so „Datenklau“ begangen haben.
Als Strafverteidiger dieses jungen Mannes (hier „Daniel“ genannt), der am letzten Samstag in der Untersuchungshaft Selbstmord begangen hat, sehe ich mich veranlasst, der offensichtlich auf einer unzureichenden Quelle basierenden, sachlich falschen und unvollständigen Berichterstattung entgegenzutreten.
Das, was umgangssprachlich als „Datenklau“ bezeichnet wird, ist im Strafgesetzbuch als Ausspähen von Daten unter Strafe gestellt (§ 202a StGB). Ein solcher „Datenklau“ liegt im Falle von Daniel jedoch nicht vor. Ein Ausspähen von Daten im strafrechtlichen Sinn ist nur dann gegeben, wenn die Daten besonders gesichert sind und sie sich ein Unbefugter durch Überwindung der Zugangssicherung verschafft.
Die hier relevanten Daten waren von den Nutzern selbst, offen einsehbar für jedermann ins Netz gestellt und in keiner Weise verschlüsselt worden. Das ist vergleichbar mit der Veröffentlichung von persönlichen Daten in einem Telefonbuch. Es liegt auf der Hand, dass Daten, die frei einsehbar für jedermann veröffentlicht werden, von einem Dritten nicht ausgespäht werden können.
Deshalb leitete die Staatsanwaltschaft auch kein Ermittlungsverfahren nach § 202 a StGB ein. Die diesbezügliche Medienberichterstattung ist insoweit sachlich falsch.
Vielmehr ermittelte die Staatsanwaltschaft unter dem Gesichtspunkt einer versuchten Erpressung.
Danach soll Daniel von dem die Plattform betreibenden Unternehmen eine Zahlung von 80.000 € gefordert oder andernfalls die Veröffentlichung der Daten im Netz angedroht haben.
Jedoch gibt es seitens der Verteidigung Hinweise darauf, dass eine Erpressung nicht versucht wurde. Vor der Bezifferung eines Betrages durch Daniel soll ein unbeziffertes Zahlungsangebot durch Mitarbeiter des Unternehmens gemacht worden sein. Wenn dem so gewesen ist, lag Zahlungsbereitschaft seitens des Unternehmens vor, die folglich nicht mit einer Drohung erzwungen werden musste. Ein Freispruch wäre im Falle eines Strafverfahrens durchaus zu erwarten gewesen.
Die Medienberichterstattung hat sich sehr einseitig und fast ausschließlich mit dem „Datenklau“ beschäftigt. Der Mensch Daniel und seine wirklichen Motive beim Programmieren eines Crawlers spielten keine Rolle. Ich habe ihn im Bereich IT als außerordentlich begabten jungen Mann kennen gelernt, der beim Programmieren und Anwenden dieses Crawlers seine Fähigkeiten austestete, aber ohne jeden kriminellen Hintergrund handelte.
In der Berichterstattung haben sich die Medien kaum mit der Rolle des die Plattform betreibenden Unternehmens beschäftigt.
Aus Sicht der Strafverteidigung stellen sich hier Fragen, die Gegenstand der Beweisaufnahme im Strafverfahren geworden wären. So etwa die Frage, ob das Unternehmen Daniel ein Schweigegeld angeboten hat, um das Aufdecken von „Sicherheitslücken“ der Plattform in der Öffentlichkeit verhindern zu können.
Für ein Unternehmen, das den Usern eine solche Plattform kostenlos zur Verfügung stellt und sich vor allem über die Werbung auf der Plattform finanziert, sind die User das Kapital. Sinkt die Zahl der User, etwa durch negative Berichterstattung in den Medien, sinken auch die Werbeeinnahmen.
Ich bedauere zutiefst, dass Daniel aus dem Leben gegangen ist. Keine Lebenssituation ist ein solcher Schritt wert.
Gemeinsam mit ihm hatte ich für eine Verfahrensbeendigung und seine Zukunft als Datenexperte kämpfen wollen. Ich hätte ihn mir als anerkanntes Mitglied unserer Gesellschaft in einem Job als Programmierer von Sicherheitsprogrammen gut vorstellen können.
Ulrich Dost
Rechtsanwalt