Rechtsanwalt Oliver Marson

Anwalt rügt mangelnde Sachkunde des Sachverständigen

Das Landgericht Oldenburg hatte lange vor Prozessbeginn einen psychiatrischen Sachverständigen beauftragt, den Mandanten auf seine Schuldfähigkeit zu untersuchen. Das war auch notwendig, weil die Ursache der Kindesmissbrauchshandlungen in einer pädophilen Neigung zu sehen ist. Und es ist wissenschaftlich erwiesen, dass diese naturgegebene und nicht heilbare Neigung zu einer verminderten Schuldfähigkeit führen kann.

Psychiatrischer Sachverständiger verneint zunächst verminderte Schuldfähigkeit

In dem vor Prozessbeginn erstellten schriftlichen Gutachten verneinte der Sachverständige eine verminderte Schuldfähigkeit. Er wohnte dann der Hauptverhandlung bei. Damit soll ein Sachverständiger Gelegenheit bekommen, die erst im Prozessverlauf bekannt werdenden Umstände bei dem letzlich am Schluss der Verhandlung mündlich zu erstattenden Gutachten berücksichtigen zu können.

Am zweiten Verhandlungstag erstattete er das mündliche Gutachten. Auch hier kam er zu dem Ergebnis, die Schuldfähigkeit des Mandanten sei bei Ausführungen der Kindesmissbrauchshandlungen nicht beeinträchtigt gewesen. Auf dieser Auffassung beharrte der Sachverständige jedenfalls vor dem dann folgenden Beweisantrag der Verteidigung.

Beweisantrag des Anwalts auf neue Begutachtung wegen fehlender Sachkunde des bisherigen Sachverständigen

Die Verteidigung sah sich nach Gutachtenerstattung veranlasst, mit einem Beweisantrag ein weiteres Gutachten für den Fall einzufordern, dass das Gericht beabsichtigt, sich dem Ergebnis des Sachverständigen anzuschließen.

Der Beweisantrag greift als solcher nicht unmittelbar das Ergebnis des Sachverständigen an. In der 10-seitigen Begründungsschrift wird vielmehr der Weg zum Ergebnis gerügt. Nach Auffassung der Verteidigung ist die dem Gutachten zu Grunde liegende Sexualanamnese lückenhaft, der Aufbau des Gutachtens unmethodisch und es entspricht insgesamt nicht den wissenschaftlichen Anforderungen. Folgerichtig leitet die Verteidigung daraus die mangelnde Sachkunde des Sachverständigen ab. Darauf wiederum gründen letztlich auch die Zweifel, dass das Ergebnis des Sachvertändigen hinsichtlich der angeblich voll erhaltenen Schuldfähigkeit zutreffend ist. Näheres zu den Rügen am Gutachten ist insbesondere dem hier abrufbaren Interview zu entnehmen.

Die Wende des Sachverständigen

Das Gericht reagierte prompt und beorderte den Sachverständigen wieder zurück in den Gerichtssaal. Es unterzog ihn einer konkreten Nachbefragung zu den im Beweisantrag behaupteten Schwachpunkten des Gutachtens. Die Frage des Gerichts, ob er auch die Ausführungen des Mandanten im Geständnis zu seiner Sexualentwicklung berücksichtigt habe, beantwortete er mit einem klaren“ja”. Mit dieser allgemeinen Antwort gab sich das Gericht aber nicht zu Frieden. Punkt für Punkt der relevanten Einlassungen des Mandanten hinterfragte das Gericht bei dem nun schon verunsichert erscheinenden Sachverständigen.

Im Ergebnis der konkreten Befragung wendete sich die Auffassung des Sachverständigen. Er räumte ein, dass unter Berücksichtigung der Einlassungen im Geständnis eine verminderte Schuldfähigkeit des Mandanten nicht auszuschließen sei.

Folglich hatte der Sachverständige das Geständnis, das mündlich in seiner Anwesenheit am ersten Prozesstag verlesen wurde und ihm in Schriftform zur Verfügung gestellt worden war, bei der ersten Gutachtenerstattung unbeachtet gelassen. Wäre es anders, hätte er zwingend schon vor dem Beweisantrag und der deshalb stattgefundenen Nachbefragung zu diesem Ergebnis kommen müssen.

Letztlich ist es Sache des Gerichts, ob es sich den Ausführungen des Gutachters anschließt oder nicht. Auch die Frage, ob ein weiteres Gutachten erforderlich ist, liegt im Ermessen des Gerichts. Das alles bleibt abzuwarten.