Sprungrevision, sexueller Missbrauch,, Rechtsanwalt, OLG Brandenburg
Rechtsanwalt Oliver Marson

Sprungrevision zum OLG Brandenburg erfolgreich

Das Urteil eines Amtsgerichts ist sowohl mit der Berufung als auch mit der Revision angreifbar. Welches der beiden Rechtsmittel gewählt wird, muss möglichst genau abgewogen werden. Denn in der richtigen Entscheidung für eines der beiden Rechtsmittel kann das Ergebnis des gesamten Strafprozesses vorweg genommen werden.

Zweifel an der Schuld des Mandanten schon bei Prozessauftakt im März 2015

Schon bei Prozessauftakt im März 2015 hatte ich als Strafverteidiger Bedenken bezüglich der Schuld meines Mandanten öffentlich gemacht. Die damalige Prozesserklärung findet sich hier. Zusammenfassend begründete ich die Bedenken wie folgt:

„Und tatsächlich ist nach meiner Einschätzung die Beweislage schwierig. Letztlich wird sich alles auf die immer wieder komplizierte Glaubwürdigkeitsprüfung fokussieren. Außenstehende Zeugen solcher Übergriffe oder etwa objektive Beweismittel sind nicht existent. Glaubwürdigkeitsgutachten wurden von der Staatsanwaltschaft nicht in Auftrag gegeben. Bild-Ton-Aufzeichnungen gem. § 58a StPO wurden bei der Polizei von den kindlichen Zeugenvernehmungen nicht gefertigt.

Die Entstehungsgeschichte der Aussagen ist den Ermittlungsakten nicht wirklich zu entnehmen. All das und manches mehr, was hier nicht erwähnt wird, wirft Zweifel an den Tatvorwürfen auf. Jedenfalls aus Sicht der Verteidigung.  Und der Mandant wird den Prozess nicht schweigend und passiv über sich ergehen lassen. So wird heute zunächst eine mit Hilfe des Strafverteidigers gefertigte, umfangreiche schriftliche Einlassung des Mandanten  verlesen. Anschließend wird er sich dem Kreuzverhör stellen. Der Mandant strebt einen Freispruch an.“

Schuldsprechendes Urteil des Amtsgerichts Oranienburg

Aber das AG Oranienburg (Land Brandenburg) verurteilte meinen Mandanten im Mai 2015 dann aber wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 5 Fällen. Dafür wurde eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren verhängt. Als Verteidiger hatte ich einen Freispruch gefordert.

Sprungrevision zum Oberlandesgericht Brandenburg

Dagegen ließ mein Mandant Sprungrevision zum OLG Brandenburg einlegen. Mit ihr wurde die Verletzung materiellen Rechts (Sachrüge) gerügt. Hinzu kamen noch Prozessrügen. Die Entscheidung des OLG erging am 08. Juni 2017 einstimmig gem. § 349 Abs. 4 StPO. Der 1. Strafsenat des OLG Brandenburg  hob das Urteil des Amtsgerichts Oranienburg vollständig auf (AZ: (1) 53 Ss 154/16 (22/17). Es wird vor einem anderen Jugendschöffengericht neuerlich verhandelt werden.

Sprungrevision schon mit der Sachrüge erfolgreich

Das Revisionsgericht sah die im Rahmen der Sachrüge vorgetragenen Rechtsargumente als zutreffend an.

Urteil des Amtsgerichts lückenhaft

So war die amtsgerichtliche Beweiswürdigung (§ 261 StPO) im Rahmen der vorliegenden Aussage-gegen-Aussage-Konstellation lückenhaft. In diesem Kontext rügte das OLG  die unzureichende Darstellung der  den Mandanten vermeintlich belastenden Aussagen. Das Urteil ist insoweit lückenhaft, weil es dem Revisionsgericht verwehrt war, die Aussagequalität und Aussagekonstanz zu prüfen.

Verstoß gegen § 267 StPO im Zusammenhang mit der Bezugnahme auf Beweismittel

Das Urteil des AG Oranienburg hatte Zeugenvernehmungen in die Hauptverhandlung eingeführt und im Urteil auf die Verschriftungen auf einer DVD Bezug genommen. Außerdem wurde im Urteil auf Verschriftungen von Chatverläufen einer Whatsapp-Gruppe Bezug genommen. Das Revisionsgericht rügt hier einen Verstoß gegen § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO. Die Bezugnahme sei unwirksam, weil nur wegen Einzelheiten auf Abbildungen wirksam Bezug genommen werden dürfe. Dazu gehören aber weder verschriftete Zeugenaussagen, noch Chatverläufe oder elektronische Speichermedien.

Rechtsfolgenausspruch rechtsfehlerhaft

Das Verteidigungsverhalten meines Mandanten würdigte das Amtsgericht im mehrfacher Hinsicht rechtsfehlerhaft zu seinen Ungunsten. So wurde straferschwerend angerechnet, dass er keine Reue und Einsichte in seine Taten gezeigt habe. Auch war es rechtsfehlerthaft ihm straferschwerend anzurechnen, dass er der eigenen minderjährigen Tochter die Zeugenvernehmung nicht ersparte.

Beschluss übernimmt Argumentation zu Prozessrüge aus Sprungrevision

Auf die Prozessrügen kam es zwar nicht mehr an. Dennoch wies das OLG in seinem Beschluss darauf hin, dass vorliegend die Voraussetzungen für die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens gegeben sein könnten. Das hatte die Verteidigung beantragt, war damit aber vor dem AG Oranienburg gescheitert.

 

Neue Hauptverhandlung nach erfolgreicher Sprungrevision vor dem Amtsgericht

Das Verfahren ist inzwischen rechtskräftig abgeschlossen. Im Dezember 2018 wurde mein Mandant freigesprochen. Näheres dazu finden Sie hier.