Angriff der NATO gegen Zivilpersonen
Rechtsanwalt Oliver Marson

NATO – Schadenersatzansprüche jugoslawischer Zivilopfer gegen Deutschland gescheitert

In den Vormittagsstunden des 30. Mai 1999 beschossen zwei Kampfflugzeuge der NATO eine Brücke in dem serbischen Ort Varvarin (damals Jugoslawien). Der Ort lag außerhalb militärischer Kampfgebiete.  Milosevic kämpfte damals im Kosovo, nicht in Serbien. Auch die Kriegsverbrechen der jugoslawischen Militärs ereigneten sich im Kosovo. Militärische Bedeutung kam der Brücke nicht zu. Sie war für eine Traglast bis 12,5 t ausgelegt. Militär war dort nicht stationiert. Varvarin (4000 Einwohner) liegt etwa 200 km von Belgrad und 200 km von der Grenze zum Kosovo entfernt.

Heimtückischer Raketenbeschuss gegen Zivilbevölkerung

Mehrere tausend Menschen hielten sich zum Zeitpunkt des Beschusses an der Brücke auf. Dort waren wie jeden Sonntag Marktstände aufgebaut. Neben der Brücke befindet sich die Kirche, ein Kirchenfest fand statt. Plötzlich beschossen zwei im Tiefflug angreifende Kampfjets der NATO in zwei kurz hintereinander folgenden Angriffswellen die Brücke. Zunächst wurden zwei Raketen abgefeuert. Die Brücke fiel in den Fluss Morava, Autos und Menschen stürzten hinterher. Als nur wenige Momente später erste Hilfeleistende den Verletzten am Ufer helfen wollten, kamen die Kampfjets zurück. Nochmals wurden zwei Raketen abgeschossen. 11 Tote und über 30 Schwerverletzte hinterließ der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff.

Klagen gegen Deutschland  und Verfassungsbeschwerden scheiterten

Die Hinterbliebenen und Verletzten klagten gegen Deutschland als NATO Mitgliedsstaat auf Schadenersatz und Entschädigung bis zum BGH. Die Anspruchsgrundlage (Verletzung des ZP I zum Genfer Abkommen) scheiterte an der Staatenimmunität. Soweit sich die Kläger auf Staatshaftung beriefen, scheiterten sie an der Beweislast. Deutschland hatte vortragen lassen, von dem Angriff nichts gewusst zu haben. Im übrigen gelte in der NATO der Grundsatz „need to know“. Die Kläger konnten zwar nachweisen, dass Flugzeuge Deutschlands an diesem Tage über dem Staatsterritorium Jugoslawiens (Serbien) im Einsatz waren. Dass sie aber selbst den Angriff  vorgenommen oder als Begleitschutz für die angreifenden Kampfjets eingesetzt waren, konnte nicht nachgewiesen werden.

Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung angenommen. Der Beschluss vom 13. August 2013 2 BvR 2660/06 und 2 BvR 487/07) ist hier nachzulesen.

Varvarin ist kein Einzelfall

Ich habe diesen „Fall Varvarin“ mit einem eigenen Team vor Klageerhebung  am Tatort aufgearbeitet. Daneben habe ich eine Vielzahl weiterer Angriffe der Nato aufgearbeitet. Kennzeichnend für viele untersuchte Angriffe ist , dass die NATO gezielt die Zivilbevölkerung und zivile Objekte außerhalb von Kampfgebieten in Serbien beschossen hat. Die Anzahl der zivilen Opfer ist mir nicht bekannt, Schätzungen gehen von ca. 2500 Toten unter der serbischen Zivilbevölkerung aus. Aber auch Angriffe auf Flüchtlinge im Kosovo sind belegt. So liegt mit ein Fall vor, wo Dorfbewohner aus dem Kosovo mit Pferdefuhrwerken und Traktoren mit ihren Familien und Habseligkeiten über eine Landstrasse flüchteten. Am hellichten Tag wurden sie von Kampfjets der NATO beschossen. Die Opfer verbrannten bei lebendigem Leib auf ihren Fahrzeugen. Die Fotodokumentation befindet sich in meinem Besitz.

Schlusswort

Nicht nur wegen meiner eigenen Erfahrung als Prozessvertreter von Kriegsopfern wende ich mich auch zukünftig gegen jeden Krieg. Natürlich sollte man völkerrechtlich und auf nationaler Ebene endlich Regelungen schaffen, die es Kriegsopfern ermöglicht, Schadenersatzansprüche durchsetzen zu können. Dazu muss die Staatenimmunität weichen. Und hinsichtlich der Staatshaftung muss  zumindestens  teilweise eine Beweislastumkehr her.

Und dennoch bin ich der Überzeugung, dass das für die Zukunft zu kurz greift. Die Staaten müssen sich alle vom Krieg als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln verabschieden.

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